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PERSONALquarterly 02/18
NEUE FORSCHUNG
_STRESSPRÄVENTION
A
lle reden vom Arbeitsstress – Tipps, um ihn besser
zu bewältigen, finden sich im Focus oder Spiegel,
in der Apotheken Umschau oder in Broschüren von
Krankenkassen. Dennoch steigen der empfundene
Stress am Arbeitsplatz und stressbedingte Erkrankungen im-
mer weiter an. Bspw. verdreifachten sich in den letzten 15
Jahren in Deutschland die Fehltage aufgrund psychischer Er-
krankungen, die als typische Folge von Arbeitsstress gelten,
nahezu. Damit verbunden sind eine Beeinträchtigung der be-
troffenen Personen in ihrer Lebensqualität sowie erhebliche
Kosten für Unternehmen und die gesamte Wirtschaft. Es stellt
sich folglich die Frage, wie Arbeitsstress reduziert bzw. seine
negativen Folgen abgemildert werden können.
Arbeitsstress entsteht häufig aus hohen Arbeitsbelastungen,
wobei in modernen Wissensgesellschaften psychosozialen Be-
lastungen eine besondere Bedeutung zukommt, während die
Relevanz physischer Belastungen abnimmt. Besonders starken
psychosozialen Arbeitsbelastungen sind helfende Berufe ausge-
setzt. Dazu zählen z.B. Krankenpfleger, Lehrer, Sozialarbeiter,
Therapeuten oder Seelsorger. Ihre Arbeit ist insbesondere durch
hohe emotionale Belastungen gekennzeichnet, die aus der In-
teraktion mit Patienten, Schülern oder Klienten in komplexen
und unsicheren Situationen resultieren. Darüber hinaus sind
diese Arbeitnehmer/-innen von weiteren Belastungen betrof-
fen, wie z.B. Krankenpfleger von schlechten Karriereaussichten,
zunehmendem Verwaltungsaufwand und Zeitmangel aufgrund
von Kostensenkungsprogrammen und vergleichsweise geringer
Vergütung (vgl. z.B. Seibt et al., 2012). Durch diese Charakteris
tika ihrer Berufe sind Angehörige helfender Berufe besonders
anfällig für stressinduzierte Gesundheitsbeeinträchtigungen.
Diese können sowohl die Physis als auch die Psyche betreffen.
Eine häufige Folge von Arbeitsstress ist die psychische Bean-
spruchung. Diese kann als affektiver Zustand einer depressiven
Verstimmung und damit als ein Sammelbegriff depressiver
Symptomatik verstanden werden. Bei einer starken Ausprä-
gung spricht man von einer Depression, also einer psychischen
Erkrankung. Der Zusammenhang von Arbeitsstress und psychi-
scher Beanspruchung wurde bereits für verschiedene Gruppen
helfender Berufe untersucht, jedoch mit ambivalenten Ergebnis-
sen. Während einige Forscher starke Zusammenhänge zwischen
Arbeitsstress in helfenden Berufen –
wirkt Religiosität präventiv?
Von
Univ.-Prof. Dr. Stefan Süß
und
Dr. Eva-Ellen Weiß
(Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf)
Arbeitsstress und psychischer Beanspruchung bei Lehrern fan-
den (vgl. z.B. Seibt et al., 2012), konnten andere diese Ergebnisse
nicht bestätigen (vgl. z.B. Tang/Leka/MacLennan, 2013). Ein Er-
klärungsansatz für solche differierenden Forschungsergebnisse
können persönliche Ressourcen (wie z.B. Selbstwertgefühl oder
Optimismus) sein, die den Zusammenhang zwischen Stress und
Beanspruchung abmildern oder verstärken.
Eine persönliche Ressource, die im Zusammenhang mit Ar-
beitsstress bislang nur wenig Beachtung findet, ist Religiosität.
Dies verwundert insbesondere in Bezug auf helfende Berufe,
da sich gerade Personen, in deren Leben Religiosität eine große
Rolle spielt, besonders zu helfenden Berufen hingezogen füh-
len. Denn dort können sie die Grundsätze ihres Glaubens wie
Nächstenliebe, Wohltätigkeit und Unterstützung praktizieren
(vgl. Byrne/Morton/Dahling, 2011). Offen ist, ob Religiosität
den Umgang mit Arbeitsstress verbessern bzw. die negativen
Effekte von Arbeitsstress auf die Gesundheit abmildern kann.
Über die Rolle von Religiosität in der Beziehung zwischen Ar-
beitsstress und seinen negativen Auswirkungen gibt es bislang
widersprüchliche Befunde. Einerseits gibt es Anzeichen für
einen mildernden Moderationseffekt auf den Zusammenhang
zwischen Stress und seinen negativen Konsequenzen (vgl.
z.B. Byrne/Morton/Dahling, 2011) und einen direkten Zusam-
menhang, wonach Religiosität psychische Beanspruchungen
reduziert (vgl. z. B. Nonnemaker/McNeely/Blum, 2003). An-
dererseits konnten diverse Studien keinen Zusammenhang
zwischen Religiosität und Arbeitsstress bzw. psychischer Be-
anspruchung nachweisen (vgl. z.B. Ahles/Mezulis/Hudson,
2015). Daher ist es das Ziel dieses Beitrags zu untersuchen,
inwieweit Religiosität den Einfluss von Arbeitsstress auf die
psychische Beanspruchung in helfenden Berufen abmildern
kann. Dazu werden die Ergebnisse einer 2015 durchgeführten
Fragebogenstudie präsentiert, nachdem die den Zusammen-
hängen zugrunde liegenden Überlegungen dargelegt wurden.
Arbeitsstress und psychische Beanspruchung
Eine empirisch häufig validierte Theorie zur Messung von Ar-
beitsstress ist die Theorie der Gratifikationskrise (vgl. Siegrist
et al., 2004). Demnach entsteht Arbeitsstress durch ein Un-
gleichgewicht zwischen (hohen) beruflichen Verausgabungen