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_DIE FAKTEN HINTER DER SCHLAGZEILE
PERSONALquarterly 02/18
Z
eit-Online beschreibt im Januar 2017 unter der Über-
schrift „Arbeitgeber müssen zuhören lernen“, dass
Firmen ihre Ohren in den Foren ihrer Zielgruppen
weit geöffnet halten müssen. „Gute Bewerber können
sich ihren Arbeitgeber aussuchen“, zitiert die Funke-Medien-
NRW-Plattform Derwesten.de schon im März 2011 einen Per-
sonalmanager. Die latente Erkenntnis ist also nicht neu. Doch
wie stellen sich Arbeitgeber attraktiv auf?
Für Karlheinz Schwuchow beginnt die Gewinnung von Fach-
und Führungskräften weit vor demAnstellungsvertrag. „Schon
Schülerpraktika, in denen für technische Berufe geworben
wird, gehören zum Talent Management“, meint der Inhaber
der Professur für Internationales Management an der Hoch-
schule Bremen und Leiter des dortigen Center for International
Management Studies. „Die Darstellung der Unternehmen auf
Karrieremessen, in Hochschulen und in den Social Media wird
umso wichtiger, je stärker Firmen in die Rolle des Bewerbers
geraten.“ Und es sind die Manager, die präsent sein müssen,
nicht allein die professionellen Recruiter. „Die Studierenden
wollen mit denen kommunizieren, mit denen sie später fach-
lich zu tun haben“, sagt Schwuchow. Das ist nicht immer ein-
fach, denn die fachlichen Führungskräfte sind nicht immer die,
die Spaß haben an Vorträgen, Lehraufträgen oder Gesprächen
mit jungen Leuten.
Aktivitäten müssen mit dem Onboarding starten
Was viele Unternehmen ebenfalls unterschätzen, ist das
Onboarding. „Das muss ein systematischer Prozess sein, der
bereits mit der Vertragsunterzeichnung beginnen sollte“, so
Schwuchow. Und auch der liegt nicht etwa allein bei den Per-
sonalmanagern, die ihn im Unternehmen etablieren, sondern
bei den direkten Vorgesetzten, Meistern und Gruppenleitern.
Denn sie sind es, denen die neuen Mitarbeiter täglich begeg-
nen, deren Wertschätzung – oder eben fehlende Zuwendung
und Akzeptanz – für die Mitarbeiterbindung und -entwicklung
wichtig ist. „Anspruch und Wirklichkeit klaffen da auseinan-
der“, erfährt der Professor regelmäßig. „Die Persönlichkeits-
entwicklung hinkt hinterher.“ Und auch dieses Phänomen ist
schon während des Bewerbungsverfahrens zu beobachten, wo
immer noch Noten und Standardisierung zu viele spannende
Personalentwicklung muss Mitarbeiter auf die Digitalisierung vorbereiten und Karrie
ren managen. Doch zuerst müssen sich Talente für den Arbeitgeber interessieren.
Klarheit bei Karriereschritten
Nachwuchskräfte durchs Rost fallen lassen. „Ein Praktikum ist
wie ein Langzeit-AC“, sagt Professor Schwuchow. „Da erfahre
ich weit mehr über fachliche Fähigkeiten, Entwicklungspoten-
zial und die Persönlichkeit der Kandidaten als in ein- oder
zweitägigen Bewerbungsverfahren.“
Rückmeldungen aus Mitarbeiterbefragungen ernst nehmen
Auch Alexander Cisik hält Aktivitäten, die vor der eigentlichen
Einstellung von Mitarbeitern liegen, für entscheidend, wenn es
um die erfolgreiche Gewinnung und Bindung von Nachwuchs-
kräften geht. Für den Professor der Wirtschafts-, Organisa-
tions- und Arbeitspsychologie an der Hochschule Niederrhein
fehlt es in den meisten Unternehmen schon daran, dass die
Personalmanager ihre Zielgruppe nicht kennen. „Dabei ist es
motivationspsychologisch sehr einfach: Unternehmen müssen
wissen, was die gesuchten Mitarbeiter umtreibt.“ Für Cisik
ist das der Kern des Talent Managements. „Das ist ähnlich
wie im Produktmarketing“, erklärt er. „Die Zielgruppe unter-
scheidet sich nach Faktoren wie Alter, Region und beruflichem
Werdegang, vor allem aber nach individuellen Bedürfnissen
und Erwartungen.“ Die Unternehmen wollen Mitarbeiter mit
einem breiten Angebot im Sinne von Cafeteria-Systemen be-
eindrucken, was vor Jahren ein erfolgreiches Instrument war.
Doch Mitarbeiterbefragungen ergeben regelmäßig, dass in dem
Bauchladen viel Teures steckt, was Beschäftigte gar nicht gou-
tieren. So können zum Beispiel etliche Gesundheitsmanage-
mentaktivitäten ersatzlos gestrichen werden, ohne dass sie
den Mitarbeitern fehlen. Auch das Gehalt muss hinterfragt
werden; hier geht es nicht um absolute Höhe, sondern um
Angemessenheit, Gerechtigkeit und Marktüblichkeit. Dagegen
sind Stichwörter wie „angenehmes Betriebsklima“ „abwechs-
lungsreiche Arbeit“ und „Wertschätzung“ eindeutig relevant.
„Der Chef weiß gar nicht, was wir leisten, beschweren sich
die Angestellten“, erfuhr Alexander Cisik in Mitarbeiterbefra-
gungen als besonders herbe Kritik. Die Lösung sieht der Hoch-
schullehrer in der konsequenten Bearbeitung der defizitären
Punkte. Denn nichts wirkt negativer, als nach Mitarbeiterbe-
fragungen keine Veränderung bei den kritisierten Faktoren
vorzunehmen. Das spricht sich in den Unternehmen herum
– und auch auf dem Bewerbermarkt draußen.
Ruth Lemmer
, Freie Wirtschaftsjournalistin in Duisburg