PERSONALquarterly 1/2018 - page 40

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PERSONALquarterly 01/18
NEUE FORSCHUNG
_ZEUGNISBEURTEILUNG
Fazit: Eine einheitliche Zeugnissprache existiert nicht. We-
der bestand Deckungsgleichheit der Bewertungen zwischen
Zeugnisgenerator und Befragten, noch zwischen den Befrag-
ten. Zudem kann sich ein Zeugnisleser nie sicher sein, ob er
eine codierte Aussage vor sich hat oder die Formulierung für
„bare Münze“ nehmen darf. Von Objektivität der Zeugnisana-
lyse ist somit nicht zu sprechen. Das macht Arbeitszeugnisse
für die Personalauswahl höchst fragwürdig, wenn nicht sogar
komplett untauglich. Hier wird Zeit und Geld in ein weitgehend
sinnfreies Ritual investiert.
Limitationen
Die Ergebnisse können aufgrund der begrenzten Rückläufe
sicherlich keine Repräsentativität beanspruchen, weisen aber
andererseits bei N = 97 und N = 89 für eine explorative Studie
eine robuste Basis auf. Weiterhin mussten die Fragebogenlän-
gen begrenzt werden, um den Rücklauf nicht zu gefährden.
Dies ließ bei der Auswertung Fragen offen:
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Gehen die kurzen Erstellungszeiten für Zeugnisse eventuell
darauf zurück, dass vorbereitende Aktivitäten (Dokumen-
tenauswertung, Informationseinholung) nicht einberechnet
wurden? Dafür spricht, dass es keinen bzw. kaum einen
Zusammenhang zwischen der Anzahl der recherchierten
Dokumente bzw. der Erstellungsindividualität und dem Zeit-
aufwand für Zeugnisse gibt. Dann wäre der Gesamtprozess
der Zeugnisanfertigung real zeitaufwändiger, als die Anga-
ben suggerieren, womit die Frage nach dem Nutzen noch
wichtiger wird.
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Zwar scheinen Zeugnisse durch Auswertung schriftlicher
Materialien recht gut fundiert zu sein. Wie gut ist aber de-
ren Konzeptionsqualität, wie intensiv die Auswertung? Doch
selbst bei einem Informationsinput höchster Güte bleibt die
Erkenntnis, dass er durch standardisierte Zeugnisformulie-
rungen wieder „deindividualisiert“ wird.
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Übernehmen die Unternehmen die von Mitarbeitern einge-
reichten Zeugnisentwürfe weitgehend unverändert? Mit dem
Motiv der Minimierung von Zeitaufwand und juristischem
Risiko ist dies in hohem Umfang zu befürchten. Die Folgen
wären sehr positive Bewertungen, „aufgenordete“ Aufgaben-
darstellungen und wenig valide Fremdbewertungen.
Zur Überprüfung einer einheitlichen Zeugnissprache wären
weitere Fragen mit Fallstudiencharakter sinnvoll gewesen.
Dies hätte aber die Antwortbereitschaft der Befragten über-
fordert. Trotz der Limitationen zeichnet sich in toto ein eher
düsteres Bild zum Arbeitszeugnis ab.
Praxisimplikationen
Es besteht kaum Hoffnung auf die Etablierung einer einheitli-
chen Zeugnissprache. Zu komplex ist die Aufgabe, zu verfestigt
die derzeitige Zeugnispraxis und zu apathisch alle Akteure.
Selbst wenn es gelänge, stellt sich die Frage: Wie ethisch ver-
sich 68,2% bei der Zeugnisanalyse „sicher“ oder „sehr sicher“.
Auch hier sind Kontrollillusionen zu vermuten. Bei der Zeug-
niserstellung und -analyse praktizieren Unternehmen also oft
den „Wurf ins kalte Wasser“. Systematische Schulungen sind
nicht die Regel.
7. Die Frage nach Existenz einer einheitlichen Zeugnisspra-
che beantworteten nur 6,7% mit „eindeutig ja“ und 39,3% mit
„eher ja“. 33,7% legten sich auf „teilweise“ fest und 20,2% auf
„eher nein und eindeutig nein“. Wenn es – wie bei Leistungs-/
Verhaltensbewertungen – um präzise Aussagen geht, dann ist
eine Sprache ungeeignet, die die Hälfte der Betroffenen zumin-
dest teilweise nicht versteht. Um die Hypothese einer nicht
einheitlichen Zeugnissprache weiter zu prüfen, wurden die Be-
fragten mit fünf typischen Zeugnisformulierungen aus einem
gängigen Zeugnisgenerator konfrontiert (vgl. Haufe-Lexware,
2013). Sie hatten auf einer Skala zwischen „sehr gut (1)“ bis
„ausreichend (4)“ anzugeben, welcher Note die Beschreibung
entspricht. Die Ergebnisse:
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Der Anteil der „richtigen“ Antworten (in %): 46,6 – 57,3 – 31,8
– 73 – 47,2. Bei einer 4er-Skala liegt die statistische Wahr-
scheinlichkeit einer richtigen Antwort bei reiner Zufallsaus-
wahl schon bei 25%!
3
Lediglich zwei Formulierungen wurden von mehr als 50%
„richtig“ bewertet.
3
Nur ein (!) Unternehmen von 88 hat alle fünf Formulierungen
„richtig“ eingeschätzt.
3
Die Standardabweichung liegt im Durchschnitt bei 0,94. Eine
Abweichung von fast einem Skalenpunkt bei einer 4er-Skala
zeigt eine recht geringe Einheitlichkeit der Antworten.
Quelle: Eigene Darstellung
Ranking
(1 = sehr wichtig)
Maximum Minimum Ø Standard­
abweichung
1. Lebenslauf
1
5
1,4 0,9
2. Anschreiben
1
5
2,2 1,3
3. Arbeitszeugnisse 1
5
2,8 1,2
4. Schul-/Hochschul-
zeugnisse
1
5
3,0 1,4
5. Referenz-/Emp-
fehlungsschreiben
1
5
3,3 1,5
Abb. 4:
Wichtigkeit der Einzeldokumente in
Bewerbungsunterlagen (n = 89)
1...,30,31,32,33,34,35,36,37,38,39 41,42,43,44,45,46,47,48,49,50,...62
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