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01/18 PERSONALquarterly
Antworten
Häufigkeiten
Werdegang bei langjähriger Betriebs
zugehörigkeit aufarbeiten
28,3% (17)
Konflikt zwischen Wahrheit und Wohlwollen
(Negatives positiv ausdrücken)
18,3% (11)
Individualität des Zeugnisses
18,3% (11)
Formulierung
11,7% (7)
Zuarbeit des Vorgesetzten
8,3% (5)
8. Zeugnissprache: Zur Überprüfung der Existenz eines breit
geteilten Zeugniscodes wurde um eine Formulierung für folgen-
des Verhalten gebeten: „Herr Müller unterhält sich gern und
viel. Die Pausenzeiten überzieht er dabei häufig und auch wäh-
rend der Arbeitszeit verwickelt er Kollegen immer wieder in
Privatgespräche, die mit der Aufgabenerledigung nichts zu tun
haben. Im Ergebnis zeigt er eine deutlich unterdurchschnitt-
liche Arbeitsleistung.“ Diese Frage wurde nur von 46,4% (45)
der Befragten bearbeitet. Die häufigste (!) Reaktion war mit acht
Nennungen, dass „solche negativen Verhaltensmuster im Zeug-
nis grundsätzlich nicht thematisiert werden“. Sieben Befragte
wählten sinngemäß die Formulierung „Herr M. war ein sehr
kommunikativer Mitarbeiter“ und weitere fünf in etwa: „Seine
umfangreiche Bildung machte ihn stets zu einem gesuchten
Gesprächspartner.“ Alle weiteren Formulierungsvorschläge
zeigten eine extrem hohe Vielfalt. Auffällig war das durchgän-
gige Bestreben, eine positive Formulierung für das Negativ-
verhalten zu finden. Etwas mehr Einheitlichkeit zeigte sich bei
der Gesamtleistungsbewertung für „… zeigte er eine deutlich
unterdurchschnittliche Arbeitsleistung“. Transferiert man die
Aussagen in eine zufriedenheitsbasierte Notenskala, so ergibt
sich eine Spannweite von „voll befriedigend“ bis „mangelhaft“.
Insgesamt bestätigen die Befunde die Zweifel an der Existenz
einer hinreichend geteilten Zeugnissprache, am Wahrheitsge-
halt von Zeugnissen und an einer einheitlichen Notenskala.
9. Aussagekraft: Nur 6,3% schätzen die Aussagekraft der von
ihnen selbst erstellten Zeugnisse als „sehr hoch“ ein, 42,7%
als „hoch“. Die Hälfte attestiert nur ein „mittelmäßig“ (37,5%),
„eher gering“ (11,5%) oder gar „sehr gering“ (2%). Dies ist ein
Offenbarungseid der Ersteller, die den Aussagegehalt der Zeug-
nisse ja am besten beurteilen können.
Daten zur Zeugnisanalyse
1. Nutzung bei der Personalauswahl: Nur 4,6% der Unterneh-
men nutzen Arbeitszeugnisse „sehr intensiv“, 44,8% „inten-
siv“. Die andere Hälfte gibt zu 41,4% „weniger intensiv“ und zu
9,1% sogar „kaum/gar nicht“ an.
2. Zeitaufwand: 48,8% (häufigste Zeitklasse!) analysieren ein
Zeugnis nur „0 bis 3 Minuten“. Weitere 25,6% nehmen sich „4
bis 6 Minuten“. Es ist fraglich, ob in dieser Zeit eine fundierte
Analyse möglich ist. Der Verdacht von Analyseoberflächlich-
keit erhärtet sich im nächsten Punkt.
3. Leseumfang: 54% geben an, dass sie ein Zeugnis „nicht
komplett durchlesen“. Welche Teile interessieren diese „Selek-
tivleser“ besonders? Die „Tätigkeitsbeschreibung“ ist mit 84,4%
prioritär. Mit deutlichem Abstand folgen „Schlussformel“
(60,9%), „zusammenfassende Leistungsbewertung“ (54,3%)
und „detaillierte Leistungsbewertung“ (41,3%).
4. Wichtigkeit: Auf einer 5er-Skala ist das Arbeitszeugnis
mit hohem Abstand nur der drittwichtigste Bestandteil einer
Bewerbungsunterlage (vgl. Abb. 4). Mit einemMittelwert von
1,4 und der geringsten Standardabweichung von 0,9 ist der
Lebenslauf das mit Abstand und hoher Einhelligkeit wichtigs-
te Dokument. Die Wichtigkeitsunterschiede bei Lebenslauf,
Anschreiben und Arbeitszeugnis sind unter den Annahmen
des t-Tests auf dem 1%-Niveau statistisch signifikant; der er-
mittelte Unterschied zwischen Arbeitszeugnis und Schul-/
Hochschulzeugnissen weist dagegen keine Signifikanz auf.
Wegen eines schlechten Zeugnisses werden Bewerber nur
bei 14,8% der Unternehmen „sehr häufig“ oder „häufig“ ab-
gelehnt.
Fazit: Zeugnisse werden bei der Personalauswahl wenig in-
tensiv genutzt, eher oberflächlich analysiert und haben nur
eine untergeordnete Bedeutung.
5. Nutzen bei der Personalauswahl: Kein (!) Unternehmen
attestiert dem Zeugnis „sehr hohe Aussagekraft“! 27% sehen
eine „hohe“, die Mehrheit der Befragten (56,2%) eine „mit-
telmäßige“ und 16,8% nur eine „eher geringe oder geringe
Aussagekraft“. Einer eingeschränkten Nutzung folgt also ein
eingeschränkter Nutzen.
In offener Abfrage der Vor- und Nachteile von Zeugnissen
zeigte sich ihr Wert insbesondere in der „ausführlichen Tätig-
keitsbeschreibung“ (31,7%). Sie wird ja auch bevorzugt gelesen
(s.o.). Zeugnisse geben weiter ein „Gesamtbild vom Mitarbei-
ter“ (17,3%), spielen die „Sicht eines Dritten“ zu (13,5%) und
ermöglichen einen „Abgleich mit dem Lebenslauf“ (13,5%). Bei
den Nachteilen laufen alle Aspekte letztlich auf „Zweifel an
Wahrheit und Aussagenpräzision“ hinaus.
6. Kompetenz: Für die Zeugnisanalyse wurde bei 46,1% ge-
schult; in kleinen (mittleren) Unternehmen nur 9,1% (34,4%).
Die hinsichtlich Aktualität und Systematik kaum einzuschät-
zenden „Kenntnisse aus Ausbildung und Studium“ haben mit
28,9% ein hohes Gewicht. Unabhängig von Schulungen fühlten
Quelle: Eigene Darstellung
Abb. 3:
Probleme bei der Zeugniserstellung (n = 60)