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PERSONALquarterly 03/18
SCHWERPUNKT
_AGILE UNTERNEHMENSFÜHRUNG
Von den benannten Merkmalen des Führungsverhaltens bei
Arnold et al. (2000) sind in unserer Stichprobe insbesondere
die Unterstützung und Ermutigung von Teams bzw. Mitarbei-
tenden sowie das vorbildliche Verhalten der Führungskraft
hervorzuheben. Teilen von Informationen und Erklären sowie
der Einbezug des Teams in Entscheidungen sind ebenfalls
Thema in den Interviews. Hier äußern manche der interview-
ten Führungskräfte allerdings auch Bedenken und Unsicher-
heiten, wann ein Zuviel an Transparenz für die Informierten
auch belastend sein könnte.
Die zwei von Amundsen undMartinsen (2014) identifizierten
Bereiche „Unterstützung der Autonomie“ und „Unterstützung
der Entwicklung“ der Geführten lassen sich durch unsere In-
terviewdaten ebenfalls abbilden. Neben der Delegation von
Aufgaben und Verantwortung (und den dabei beschriebenen
Schwierigkeiten) werden Ermutigung zu Eigeninitiative sowie
Anleitung und Beratung als Führungsstil praktiziert. Hier zeigt
sich jedoch, dass dies insbesondere in denjenigen Unterneh-
men, die bereits auf mehrjährige Erfahrung als agile Organi-
sation zurückgreifen können, der Fall ist. Insbesondere die
Inspiration der Mitarbeitenden ist in diesen bereits sehr agilen
Organisationen demnach ein wesentliches Element.
Abbildung 1 fasst vier Handlungsfelder zusammen, die sich
auf Basis der Interviewdaten als herausfordernd festhalten las-
sen und die zugleich als Anforderungen an Führungskräfte in
agilen Organisationen verstanden werden können. Diese vier
Handlungsfelder für Führungskräfte (Anforderungen und He-
rausforderungen) implizieren alle, wenn auch in unterschied-
licher Intensität, die Interaktion von Führenden und Geführten.
In Ergänzung hierzu lässt sich aus unseren Daten der Schluss
ziehen, dass – aus Sicht von Führungskräften – bestimmte,
teils neue Kompetenzen für Führungskräfte und Mitarbeitende
in agilen Organisationen benötigt werden. Im Zentrum stehen
dabei folgende drei miteinander verknüpfte Aspekte:
3
Verantwortung –
Verantwortung abzugeben (von Seiten der
Führungskräfte) und Verantwortung anzunehmen/zu über-
nehmen (auf Seiten der Teams bzw. Mitarbeitenden) scheint
mit Unsicherheiten bei beiden Personengruppen behaftet
zu sein.
3
Selbstorganisation –
Hier ergibt sich ein potenzielles Span-
nungsfeld zwischen der Führungskraft, die in (zunehmend)
agilen Organisationen Selbstorganisation fordern und för-
dern wird, und Teams bzw. Mitarbeitenden, die dieser Ar-
beitsweise ggf. nicht aufgeschlossen (Wollen) und nicht mit
entsprechenden Fähigkeiten (Können) gegenüberstehen.
3
Feedback –
Hinsichtlich Feedback geben und Feedback neh-
men scheinen ebenfalls Unsicherheiten über das Wann und
Wie sowohl bei Führungskräften als auch (aus deren Warte)
bei Mitarbeitenden zu bestehen.
Diesen drei Bereichen bzw. den dafür erforderlichen Kompe-
tenzen dürfte in (zunehmend) agilen Organisationen beson-
dere Aufmerksamkeit zuteilwerden; sie sollten entsprechend
entwickelt, geschult und unterstützt werden. Während hier-
für bei Teams bzw. Mitarbeitenden die Führungskräfte prä-
destiniert sind, könnten die Führungskräfte selbst durch HR
unterstützt werden. Entsprechend dürften auch auf HR bei
diesem Thema neue Aufgaben hinzukommen. Vermutlich wird
es darum gehen, die bestehenden Führungsinstrumente so
weiterzuentwickeln, dass sie den Anforderungen an Führung
in agilen Organisationen gerecht werden.
Für Organisationen, die agil(-er) werden wollen, lässt sich
aus unseren Ergebnissen ableiten, dass eine Beschäftigung
mit den Ansätzen der verteilten Führung und der ermächti-
genden Führung wertvoll ist. So lässt sich zeigen, dass Füh-
rungsverhalten, das auf die Unterstützung von Autonomie und
Unabhängigkeit der Geführten zielt, positiv mit Arbeitszufrie-
denheit, Arbeitseinsatz, Kreativität und Leistung zusammen-
hängt (Amundsen/Martinsen, 2014). Zudem wird vermutet,
dass ermächtigende Führung Selbstführung sehr gut unter-
stützen kann (ebd.). Dieser Aspekt ist für agile Organisationen
aufgrund des in der Regel hohen Stellenwerts von Selbstorga-
nisation allgemein relevant – und umso mehr, je mehr virtu-
elle, das heißt geografisch verstreut arbeitende Teams, eine
Rolle spielen. Für (zunehmend) agile Organisationen könnte es
daher empfehlenswert sein, bei Führungskräfteauswahl und
-entwicklung verstärkt Aspekte der ermächtigenden Führung
zu berücksichtigen. Bestehende Instrumente (Fragebögen und
Skalen, z.B. Amundsen/Martinsen, 2014; Arnold et al., 2000)
zu ermächtigender Führung können darüber hinaus hilfreich
zur Prüfung des Status quo in der Organisation sein. Diese in
die praktische Führungsarbeit zu integrieren, wird HR zukünf-
tig weiter herausfordern.
Ausblick
Quantitative Studien zu Unternehmen in Deutschland legen na-
he, dass Führungskräfte den Nutzen von Agilität und den Stand
der Umsetzung von Agilität imUnternehmen höher einschätzen
als Mitarbeitende ohne Führungsfunktion (vgl. Endejan/Weck-
müller, 2016). Darum erscheint es umso bemerkenswerter, dass
in unserer Interviewstudie doch zahlreiche Herausforderungen
und Unsicherheiten durch die im Fokus der Untersuchung ste-
henden Führungskräfte benannt werden.
Insofern kommt dem von den Führungskräften angespro-
chenen Bedarf an Unterstützung im Transformationsprozess
und der Begleitung in ihrer teilweise neu zu justierenden Rolle,
beispielsweise durch die HR-Funktion und agile Coachs, eine
beachtliche und womöglich noch zunehmende Rolle zu. Unsere
These ist somit keineswegs, dass die Tage des HR gezählt sind;
vielmehr gilt es für HR, zumal in größeren Organisationen,
sich anders aufzustellen. Hier gibt es erste Ideen, wie HR dies
gelingen kann (Fischer/Häusling, 2018). Weitere Forschung
dazu wird aber noch vonnöten sein.