PERSONALquarterly 3/2018 - page 26

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PERSONALquarterly 03/18
SCHWERPUNKT
_AGILE UNTERNEHMENSFÜHRUNG
Themen und Praktiken rund um das Thema Agilität in der Brei-
te zu eruieren. Hierzu wurden im Jahr 2016 in 15 Unternehmen
unterschiedlicher Branchen und Größen in Deutschland insge-
samt 45 qualitative Interviews geführt. Die Interviews hatten ei-
ne Dauer von durchschnittlich 60 Minuten. Untersucht wurden
Organisationen, die sich bereits in unterschiedlicher Intensität
mit dem Thema Agilität befassen; die Bandbreite reichte hierbei
von ersten konzeptionellen Überlegungen bis zu bereits etab­
lierten agilen Praktiken im Unternehmen. Fast alle Interview­
personen bekleideten Führungspositionen in verschiedenen
Bereichen (Geschäftsleitung, Fachabteilungen, HR).
Die Interviews fanden leitfadengestützt statt, wobei der fle-
xibel gehandhabte Interviewleitfaden entsprechend der Ziel-
setzung der Untersuchung fünf thematische Blöcke umfasste:
3
Start (Interviewperson imUnternehmen und Unternehmens­
umwelt)
3
Agilität (Was ist „Agilität“? Warum und wo spielt Agilität
eine Rolle?)
3
Konkrete Umsetzung von Agilität (Welche Maßnahmen/
Praktiken finden sich im Unternehmen?)
3
Rolle von HR bzgl. Agilität (Wo und wie kann HR Agilität
fördern oder hemmen?)
3
Schluss (Gesamteinschätzung des Unternehmens im Hin-
blick auf Agilität und offen Gebliebenes)
Die Interviews wurden auf Tonband aufgezeichnet, anschlie-
ßend vollständig, wörtlich mit sprachlicher Glättung, tran-
skribiert und inhaltsanalytisch über strukturierende und
zusammenfassende Techniken mit der Software MAXQDA aus-
gewertet. Unter Berücksichtigung des Interviewleitfadens und
der Literatur wurden zunächst deduktiv Kategorien gebildet
und anschließend Textstellen, die neue Aspekte enthielten, in
induktiven Kategorien gebündelt. Insgesamt umfasste das Ka-
tegoriensystem 30 themenbezogene Hauptkategorien, die teil-
weise noch in weitere Unterkategorien ausdifferenziert waren.
Anforderungen an Führungskräfte
Die Anforderungen an Führungskräfte im agilen Kontext sind
vielfältig. Viele der interviewten Führungskräfte befinden sich
(noch) in einem Reflexionsprozess, was „Führung“ in einem
(zunehmend) agilen Kontext denn konkret bedeute und was
eine Führungskraft ausmache, welches Selbstverständnis der
Ausgestaltung ihrer eigenen Rolle zugrunde liegt. So erken-
nen Führungskräfte, dass Führung nun grundsätzlich nicht
oder weniger über Weisungs- und Kontrollelemente (com-
mand & control) charakterisiert sein sollte, sondern Elemente
wie Vertrauen in die fachlichen und persönlichen Fähigkeiten
der Mitarbeitenden und die eigene positive Vorbildfunktion in
den Vordergrund rücken. Viele der Führungskräfte bezeich-
nen dies als neues Miteinander von Führungskräften und
Mitarbeitenden bzw. Teams
4
, indem sich wertschätzend auf
Augenhöhe begegnet werde.
Ihre eigene Rolle sehen die Führungskräfte daher im agilen
Kontext dahingehend, Mitarbeitende und Teams zu begleiten
und zu coachen, Leitplanken zu bieten und Rahmenbedingungen
(zeitliche und inhaltliche Freiräume) zu schaffen, in denen Mit-
arbeitende und Teams autonom arbeiten können. Dazu gehöre
auch, das Team nach außen „abzuschirmen“. Als zentrale Er-
fordernis erkennen die Interviewten in diesem Zusammenhang
transparente Strukturen und nachvollziehbare Entscheidungen.
Bei ihnen selbst müsse vielfach noch ein Umdenken stattfin-
den, beispielsweise dass persönliche Ziele idealerweise denen
des Unternehmens untergeordnet würden und Führungskräfte
sich eher im Hintergrund halten sollten. Letzteres bedeute für
die Führungskraft selbst, Verantwortung an Mitarbeitende und
Team abzugeben. Diese Verantwortung müsse jedoch auf der an-
deren Seite von Mitarbeitenden bzw. Teams auch angenommen
werden. Hier sehen die interviewten Führungskräfte die Not-
wendigkeit, individuell auf Mitarbeitende einzugehen und diese
und das gesamte Team bei Bedarf hin zu (stärker) eigenverant-
wortlichem Arbeiten zu unterstützen. Dabei sei schnelles und
direktes Feedback in Form von Feedbackgesprächen innerhalb
eines klaren und transparenten Feedbackprozesses erforder-
lich. Die Anforderung an Führungskräfte bestehe entsprechend
darin, situativ und individuell zu führen.
Herausforderungen für Führungskräfte
Aus den beschriebenen Anforderungen ergeben sich für die
Führungskräfte Herausforderungen für ihre (neue) Rolle im
Hinblick auf Mitarbeitende und Teams. So wird die Notwendig-
keit einer neuen Art der Kommunikation gesehen. Führungs-
kräfte haben ihren – oft in bislang klassisch-hierarchischen
Settings (aus-)geprägten – Reflex „Kontrolle“ zu hinterfragen
und sich selbst diesbezüglich kritisch zu beobachten. Verant-
wortung in fachlichen und organisatorischen Aspekten abzu-
geben, wird als herausfordernd erlebt. Die Führungskräfte
empfinden die situations- und personenadäquate Anpassung
ihres Führungsverhaltens als besondere Herausforderung. Als
Spannungsverhältnis wird hier die grundsätzlich angestrebte
Zurückhaltung der Führungskraft (Schaffung von Rahmenbe-
dingungen, in denen Mitarbeitende und Teams selbstständig
arbeiten und Entscheidungen treffen können) und die unter-
stützende, begleitende Rolle (Coach) gesehen.
Grundsätzlich ist die Prämisse, dass Mitarbeitende auch
(stärker) eigenverantwortlich arbeiten möchten, nach Erfah-
rung der interviewten Führungskräfte nicht immer zutreffend:
So erleben Führungskräfte durchaus, dass nicht alle Mitar-
beitenden einen entsprechenden Grad an Freiheit und Ver-
antwortung haben möchten oder sich dem gewachsen fühlen.
Führungskräfte stehen demnach vor der Herausforderung,
4 Wir unterscheiden wie die von uns interviewten Führungskräfte nicht durchgängig zwischen
Mitarbeitenden als einzelnen Teammitgliedern und Teams als Gruppe von Mitarbeitenden, sondern
fokussieren an einzelnen Stellen stärker auf die Individuen.
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