PERSONALquarterly 2/2017 - page 54

PERSONALquarterly 02/17
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STATE OF THE ART
_FÜHRUNG
K
aum eine Persönlichkeitseigenschaft von Führungs-
kräften wird aktuell so viel diskutiert wie Narziss-
mus. Beispiele aus Politik und Wirtschaft, darunter
Donald Trump, Steve Jobs oder Thomas Middelhoff,
werden als Belege herangezogen, dass Narzissten in Führungs-
positionen überrepräsentiert sind. Sie seien gefährlich, weil sie
nicht kritikfähig und nur auf Selbstdarstellung ausgerichtet
seien. Für die Personalpsychologie ergeben sich daraus wich-
tige Fragen. Haben es diese Personen trotz – oder wegen – ihres
Narzissmus an die Spitze geschafft? Ist Narzissmus grundsätz-
lich mit Führung assoziiert? Führen Narzissten erfolgreicher?
Manchen Forschern zufolge befinden wir uns im „Zeitalter des
Narzissmus“ (Twenge & Campbell, 2009).
Zu Beginn lohnt sich ein Blick darauf, was Narzissmus über-
haupt ist. Bereits in der antiken Erzählungssammlung Me-
tamorphosen beschrieb Ovid 8 n. Chr. den Jüngling Narziss.
Dieser wurde von Männern und Frauen gleichermaßen be-
gehrt, war in seinem Stolz jedoch unfähig dazu, fremde Zunei-
gung zu erwidern; er konnte nur sich selbst lieben. Das endete
tragisch: Der Jüngling erblickte sein Spiegelbild in einem Teich
und verging in Selbstliebe. Seit der Antike hat die Wissenschaft
viel zum Verständnis von Narzissmus beigetragen. Dennoch
erweist sich das Phänomen nach wie vor als faszinierend und
komplex. Zunächst wurde Narzissmus oft als Störung verstan-
den und noch heute werden pathologische Ausprägungen als
„narzisstische Persönlichkeitsstörung“ diagnostiziert. Abseits
der Pathologie erforscht die Wissenschaft heutzutage beson-
ders den „Narzissmus in uns allen“. Narzissmus wird dann als
normale Persönlichkeitseigenschaft (trait) verstanden – als ein
Kontinuum also, auf dem jeder Mensch verortet werden kann.
Narzissten neigen dazu, ihre eigenen Fähigkeiten zu über-
schätzen, und sie überschreiten dabei das übliche Maß: Sie hal-
ten sich schlichtweg für grandios. Übrigens meist zu Unrecht,
denn objektive Kriterien widersprechen diesem übermäßig po-
sitiven Selbstbild. Bspw. schneiden Narzissten in IQ-Tests nicht
überdurchschnittlich gut ab (Gabriel et al., 1994). Nichtsdesto-
trotz geht die narzisstische Selbstüberschätzung oft mit einer
Geringschätzung anderer Personen einher (Back et al., 2013).
Und letztlich verlangen Narzissten ständig nach Bewunderung.
Entsprechend bereitwillig suchen sie das gesellschaftliche
Rampenlicht und entsprechend offen prahlen sie mit ihren
(vermeintlichen) Qualitäten. Diese Gemengelage führt zu ei-
ner ganzen Reihe interessanter, teils widersprüchlicher Verhal-
tenskonsequenzen (vgl. Abb. 1). So sind Narzissten einerseits
besonders charmant, tatkräftig und gesellig – Verhaltenswei-
sen, mit denen sie andere in ihren Bann ziehen. Andererseits
handeln sie aber auch besonders egoistisch, rücksichtslos und
beuten andere aus. Und gerade wenn Narzissten sich ausge-
bremst oder kritisiert fühlen, reagieren sie ungehalten bis ag-
gressiv (Bushman & Baumeister, 1998).
Trotz aller Erkenntnisse zum Narzissmus bleiben Fragen un-
geklärt. So ist etwa noch nicht hinreichend erforscht, wie Nar-
zissmus entsteht. Auch die Frage, ob Narzissten im Innersten
von ihrer Grandiosität überzeugt sind oder mit ihrem großspu-
rigen Auftreten eigentlich ein labiles Selbstbild kompensieren,
ist wissenschaftlich umstritten (Campbell & Foster, 2007). Die
Idee, dass Narzissmus mit Führung zusammenhängt, ist indes
nicht neu. Schon Sigmund Freud schrieb: „Der Führer selbst
braucht niemand anderen zu lieben, er darf ... absolut narziss-
tisch [sein]“ (Freud, 1921, S. 103–104). Doch ergeben sich zwi-
schen Narzissmus und Führung tatsächlich unternehmerisch
relevante Zusammenhänge? Diese Frage wird seit etwa zehn
Jahren systematisch untersucht.
Werden Narzissten eher zu Führungspersonen?
Relevant ist zunächst, ob Narzissten übermäßig häufig in
Führungspositionen gelangen (Leadership Emergence). Die-
se Vermutung liegt nahe. Führungspositionen bieten vieles,
wonach Narzissten streben: Macht über andere, ein hoher
gesellschaftlicher Status und materieller Reichtum. Gleich-
zeitig sind gewisse narzisstische Züge in vielen Führungspo-
sitionen durchaus willkommen: Ein Mensch, der charmant,
selbstbewusst und durchsetzungsstark auftritt, empfiehlt sich
als charismatische Führungsperson. Untersuchungen, die das
Narzissmuslevel von Führungskräften und Nicht-Führungs-
kräften vergleichen, sind dennoch erstaunlich rar. Ohnehin wä-
re hier die Kausalität fraglich: Werden narzisstische Personen
eher zu Führungskräften oder macht eine Führungsposition
Menschen narzisstischer? Ob Narzissten tatsächlich eher zu
Führungspersonen werden, lässt sich stichhaltiger überprü-
Von
Dipl.-Psych. Andreas Nehrlich
,
Dr. Irmela Koch
und
Prof. Dr. Torsten Biemann
(Universität Mannheim)
Narzissmus und Führung
Narzissmus bei Führungskräften hat Licht- und Schattenseiten, hängt insgesamt aber
kaum mit Führungserfolg zusammen.
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