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_DIE FAKTEN HINTER DER SCHLAGZEILE
PERSONALquarterly 02/17
D
onald Trump macht als US-Präsident von sich re-
den. Gerne über Twitter. Und vor allem teilt er mit
eisernen Ellenbogen aus. Wohl auch deshalb saust
die Behauptung mit ungebremster Geschwindigkeit
durch die Medien, er habe mithilfe von Big Data die Wahl ge-
wonnen. Die Firma Cambridge Analytica erstellt Wählerana-
lysen aus Abertausenden Facebook-Daten. Vorsichtige Blätter
wie die Zeit und die Süddeutsche Zeitung melden Zweifel an,
das Schweizer Blatt Das Magazin hält die Kopplung aus On-
line-Persönlichkeitsprofilen und Facebook-Likes zur Wählerbe-
einflussung für möglich. Da auch in Deutschland und Europa
wichtige Wahlen anstehen, stehen Algorithmen für Persönlich-
keitsprofile hoch imKurs. Politiker wollen oder sollen vereinba-
ren, nicht auf die Möglichkeiten von Big Data zurückzugreifen.
Die Datenschützer warnen vor Gesetzesbrüchen. Und unter
Personalfachleuten überlegen Datenautobahnfans und Gegner
digitalisierter Übermacht, wo Big Data die Recruiter und Per-
sonalentwickler hinführen kann.
Formalisierung von Alltagsklischees
Zu denen, die „viel Lärm um Big Data“ eher für eine Mode-
erscheinung halten, als den Nutzen für Unternehmen und
Gesellschaft zu sehen, gehören die Unstatistiker mit ihrer An-
laufstelle im RWI – Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung
in Essen. In der „Unstatistik des Monats Dezember“ rücken der
Dortmunder Statistikprofessor Walter Krämer und sein Team
die Zahlen der Erfolgsmeldungen zurecht: Wenn man mit der
in der Schweizer Zeitschrift genannten Methode zu 88 Prozent
sagen könne, welche sexuelle Präferenz ein Mann habe, bedeu-
te das nicht, dass die Prognose besonders treffsicher sei, son-
dern dass im Vergleich der Gruppen die Männer zu 88 Prozent
richtig zugeordnet werden. Mit verschieden komplexen Algo-
rithmen berechnet, werde die Wahrscheinlichkeitsaussage
unterschiedlich präzise, bleibe aber mit Vorsicht zu genießen.
Für die Unstatistiker sind die Ergebnisse „eine Formalisierung
von Alltagsklischees“ – und knacken keinesfalls die Psyche
der Internetnutzer.
Mit dieser Einschätzung würden Algorithmen für Personal-
manager eher uninteressant. Doch da ist das letzte Wort noch
nicht gesprochen – weder in der Wissenschaft noch in der Pra-
Starke Leistung und Persönlichkeitsmerkmale: Wie diese Begriffe zusammenhängen,
ist durchaus umstritten. Auch Algorithmen werden das Problem nicht perfekt lösen.
Big Data als Hoffnungsträger
xis. Die Auseinandersetzung darüber, ob Personaler bessere
Entscheidungen treffen, wenn sie Daten aus demWeb analysie-
ren, bevor sie einen Bewerber einstellen oder einen Mitarbeiter
in seiner Karriere fördern, wird weitergehen. Netzwerke wie
Facebook oder Instagram, die vorwiegend privat genutzt wer-
den, sind möglicherweise für Personalmanager weniger ergie-
big als beruflich genutzte Communities wie Xing und Linkedin.
Professor Ricardo Büttner, der Wirtschaftsinformatik an der
Hochschule Aalen in Baden-Württemberg lehrt, hält jedenfalls
viel davon, Mensch und Maschine gleichermaßen zu befragen,
also Aussagen und Algorithmen abzuwägen. „Die Lebenslauf-
daten auf Linkedin sind oft aussagefähiger als die persönlichen
Lebensläufe, die an die Personalabteilung geschickt werden“,
sagt der Personalforscher. Die Ursache: Netzwerke bereinigen
Fakedaten. Kollegen, Chefs, Mitarbeiter lesen mit. Ihnen fallen
Unstimmigkeiten auf. Büttner: „Es existiert eine soziale Acht-
samkeit in den beruflichen Netzwerken.“
Der Hochschullehrer will maschinenbasierte Ansätze dort
nutzen, wo sie die Personalarbeit erleichtern und beschleuni-
gen, kostengünstiger und effizienter machen. Möchte ein Re
cruiter z.B. seine Einschätzung gegenüber einem Kandidaten
im Web verifizieren, kann er bei Likes in Facebook mehr er-
fahren als im Profil. Denn Likes werden spontan vergeben.
Dagegen sind persönliche Profile meist ausgefeilt. Auch die
Diskussionsbeiträge in Xing geben Hinweise, oft aber mehr
über die fachliche Kompetenz als über die Persönlichkeit. „Ins-
gesamt kann man nur grobe Rückschlüsse aus den Social Me-
dia auf die Persönlichkeit ziehen“, ist Ricardo Büttner sicher.
„Es bleiben Wahrscheinlichkeitseinschätzungen.“
Logik von Algorithmen verstehen
Allerdings: Diese Wahrscheinlichkeitsurteile basieren auf
mehr als einem Gefühl, es sind zusätzliche Informationen.
Das, so rät der Wirtschaftsinformatiker, sollten Personaler
theoretisch nachvollziehen und praktisch anwenden können.
Voraussetzung dafür aber ist es, die grundlegende Logik von
Algorithmen zu verstehen. Und hier haben Personalpraktiker
noch viel nachzuholen.
Auch Professor Stefan Strohmeier, der den Lehrstuhl für
Management-Informationssysteme an der Universität des
Ruth Lemmer
, Freie Wirtschaftsjournalistin, Düsseldorf