59
02/17 PERSONALquarterly
F
ast jeder Bewerber hinterlässt Spuren im Internet und
ist auf Social-Media-Plattformen aktiv. Recruiter kön-
nen oft über wenige Mausklicks auf zahlreiche Infor-
mationen zugreifen und sich ein Bild des Bewerbers
– über die klassischen Bewerbungsunterlagen hinaus – ma-
chen. Trotz dieser Fülle an Informationen gibt es kaum em-
pirische Forschung dazu, inwieweit Social-Media-Plattformen
im Auswahlprozess berücksichtigt werden sollten und ob sie
überhaupt einen Nutzen stiften. Van Iddekinge und Kollegen
gehen dieser Frage nach und untersuchten speziell die Vor-
hersagekraft von Facebook-Profilen. Dazu haben erfahrene
Recruiter die Facebook-Profile von über 400 amerikanischen
Studierenden eingeschätzt, die kurz vor Abschluss ihres Stu-
diums standen und aktiv auf Jobsuche waren.
Für die Studie haben die Probanden ihr komplettes Facebook-
Profil zur Verfügung gestellt. Die Recruiter schätzen u.a. die
generelle Eignung sowie Kreativität, Professionalität, Reife und
das schriftliche Kommunikationsvermögen der Probanden ein.
Ein Jahr später wurde mittels eines Online-Fragebogens erfasst,
ob die Probanden inzwischen eine Anstellung gefunden haben,
ob sie beabsichtigen, den Arbeitgeber zu wechseln oder bereits
gewechselt haben. Darüber hinaus wurden die Führungskräfte
der Probanden kontaktiert und um eine Einschätzung der Ar-
beitsperformance ihres neuen Mitarbeiters gebeten.
Die Ergebnisse zeigen, dass die Bewertung der Facebook-
Profile keinerlei Einfluss auf die spätere Performance am Ar-
beitsplatz, auf die Absicht zu wechseln oder auf tatsächliche
Kündigungen hatte. Die Facebook-Profile haben somit keinen
Beitrag zur erfolgreichen Personalauswahl geleistet. Statt
dessen zeigte sich bei den Recruitern eine Präferenz für weiße
Probanden und Frauen. Diese Subgruppen wurden insgesamt
positiver bewertet. Die Autoren empfehlen, dass Unternehmen
sehr vorsichtig sein sollten, wenn sie Informationen von Social-
Media-Plattformen bei der Personalauswahl berücksichtigen.
Ebenso sollten sich Unternehmen hierbei um klare Richtlinien
bemühen.
Besprochen von
Annika L. Meinecke
, Lehrstuhl für Arbeits-,
Organisations- und Sozialpsychologie, Technische Universität
Braunschweig
Facebook-Profile in der
Personalauswahl
C. H. Van Iddekinge
(Florida State University),
S. E. Lanivich
(Old Dominion University),
P. L. Roth
(Clemson University) &
E. Junco
(Independent Consultant): Social media for selection?
Validity and adverse impact potential of a facebook-based
assessment. Journal of Management, Vol. 42, No. 7, pp.1811-
1835.
O
bwohl viele akademische Disziplinen Tratsch (engl.
gossip) als wichtiges und potenziell funktionales
Verhalten einordnen, hat Tratsch am Arbeitsplatz
einen schlechten Ruf. Hinter dem Rücken über Vor-
gesetzte oder KollegInnen zu reden, ist weitgehend verpönt.
Dies führte in der organisationalen Forschung bislang dazu,
dass tratschen eher als lästern operationalisiert wurde. Ex-
trem negative Ausprägungen wurden in den Fokus gerückt.
Brown und Kollegen von der University of Waterloo in Kanada
plädieren nun dafür, diese negative Sicht auf das Thema aufzu-
brechen und sowohl positive als auch negative Ausprägungen
von Tratsch differenziert zu betrachten. Tratsch diene vor allem
dazu, informell Informationen zu sammeln und auszutauschen
und weniger dazu, anderen bewusst zu schaden.
Mittels eines aufwendigen Vorgehens, basierend auf acht
Teilstudien mit insgesamt 1.427 TeilnehmerInnen, haben
Brown und Kollegen einen neuen Fragebogen zur Messung von
Tratsch am Arbeitsplatz entwickelt und diesen mit einer Rei-
he von organisationalen Variablen in Verbindung gesetzt. Der
Fragebogen bezieht sich sowohl auf Vorgesetzte als auch auf
KollegInnen und erfasst positive („Wie oft haben Sie im letzten
Monat imGespräch mit einemKollegen etwas Gutes über Ihren
Vorgesetzten erzählt?“) sowie negative Verhaltensweisen (z.B.
„Wie oft haben Sie im letzten Monat im Gespräch mit einem
Kollegen eine wenig schmeichelhafte Geschichte über Ihren
Vorgesetzten erzählt?“).
Die Ergebnisse zeigen, dass Tratsch am Arbeitsplatz per
se seinen schlechten Ruf nicht verdient. Während negativer
Tratsch zwar u.a. mit Kündigungsabsichten und Devianz in
Beziehung steht, finden sich für positiven Tratsch u.a. Zusam-
menhänge mit der Fähigkeit zum Networking und einer posi-
tiven Stimmung am Arbeitsplatz.
Für die organisationale Praxis resümieren die Autoren, dass
es illusorisch sei, Tratsch komplett zu unterbinden. Tratsch er-
füllt wichtige, grundlegende soziale Funktionen und kann eine
zentrale Rolle beim Umgang mit Emotionen spielen. Sofern
es sich nicht um heftiges Lästern handelt, müssen die Alarm
glocken bei etwas Tratsch nicht angehen.
Besprochen von
Annika L. Meinecke
, Lehrstuhl für Arbeits-,
Organisations- und Sozialpsychologie, Technische Universität
Braunschweig
Klatsch und Tratsch am
Arbeitsplatz
D. L. Brady, D. J. Brown
&
L. H. Liang
(University of Waterloo):
Moving beyond assumptions of deviance: The reconceptualiza-
tion and measurement of workplace gossip. Journal of Applied
Psychology, Vol. 102, No. 1, pp.1-25.