PERSONALquarterly 2/2017 - page 63

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Saarlandes inne hat, sieht im Data Mining – dem Verwen-
den komplexer Analyseverfahren, um Muster wie Verläufe,
Zusammenhänge oder Regeln in Daten zu erkennen,– eine
gute Ergänzung zur Intuition, auf die sich Personalpraktiker
oft verlassen. Strohmeier nennt ein Beispiel aus der Perso-
nalauswahl: „Recruiter benötigen im Rahmen der Vorauswahl
im Schnitt nur sechs Sekunden für ein Nein auf der Basis von
Bewerberunterlagen.“ Dies führe nachweislich oft zu subopti-
malen Auswahlentscheidungen.
Keine Wunder von Big Data erwarten
Für Strohmeier ist die Fixierung auf strikte Datenvermeidung
zumindest überdenkenswert: „Wir müssen hin zur Datensou-
veränität.“ Neue Daten aus verschiedenen Quellen zu analy-
sieren, eröffnet seiner Ansicht nach der Eignungsdiagnostik
Möglichkeiten, die es auszuloten gilt. Er warnt aber vor Ver-
einfachungen. Die Praxis, Daten aus sozialen Netzwerken zur
Vorhersage der Big-Five-Persönlichkeitsdimensionen – Bedürf-
nis nach Stabilität, Extraversion, Offenheit, Umgänglich- und
Gewissenhaftigkeit – zu verwenden und diese zur Prognose
des beruflichen Erfolgs heranzuziehen, sieht er kritisch: „Hier
mangelt es meist in doppelter Hinsicht an der notwendigen
prognostischen Qualität.“ So könnten die Persönlichkeitsdi-
mensionen durch Netzwerkdaten oft nicht ausreichend valide
vorhergesagt werden. Weiter wiesen auch valide vorherge-
sagte Dimensionen nicht ausreichend prognostische Qualität
für fundierte Auswahlentscheidungen auf. „Ich kenne keine
empirische Studie“, so Strohmeier, „die belegt, dass daten- und
analysebasierte Vorgehensweisen besser oder schlechter funk-
tionieren als der Mensch, wenn es um Personalauswahl geht.“
Man solle also Big Data „nicht vorschnell abqualifizieren, aber
auch keine Wunder erwarten“. Denn eines sei sicher: „Die
Personalauswahl ist die mit Abstand wichtigste personalwirt-
schaftliche Funktion – hinterher wird nur noch repariert.“
V.l.n.r.: Prof. Dr. Ricardo Büttner (Hochschule Aalen), Prof. Dr. Stefan Strohmeier (Universität des Saarlandes),
Prof. Dr. Uwe Kanning (Hochschule Osnabrück)
Für Professor Uwe Kanning investieren Unternehmen zu
wenig Zeit und Gedanken in die Frage, welchen Mitarbeiter sie
beim Rekrutieren überhaupt finden und engagieren wollen.
Von 240 befragten Firmen hatten 50 Prozent überhaupt keine
Kriterien definiert. „Ohne Anforderungsanalyse messe ich –
ganz gleich mit welchem Instrumentarium – lauter Dinge, die
ich nicht brauche“, betont der Wirtschaftspsychologe an der
Hochschule Osnabrück. Bisher belegen Internetdaten z.B., ob
einer zu einer bestimmten Gruppe gehört. Interessiert sich
der User, der zum Bewerber geworden ist, für Politik, Autos
oder Sport, ist er männlich oder weiblich, homosexuell oder
heterosexuell, bewegt er sich auf vielen Plattformen oder hält
er sich zurück. „Dieses Wissen ist für die Personalauswahl
und -entwicklung allerdings irrelevant“, meint Kanning. Zu-
mal man das meiste ohnehin erfährt, aber nicht nutzen darf,
will man z.B. nicht mit dem Allgemeinen Gleichbehandlungs-
gesetz (AGG) kollidieren.
Jeder wolle leistungsstarke Leute, aber ob jemand in einem
Job starke Leistungen bringt, hänge von vielen Faktoren ab.
Wenn Personaler erst einmal die Aufgabe beschreiben, können
sie Verhaltensweisen abgleichen, die wie Sorgfalt oder Kun-
denorientierung bei Vertrieblern, Empathie oder Delegierfä-
higkeit bei Führungskräften eine Rolle für den Erfolg spielen.
„Allerdings wird der Zusammenhang von Persönlichkeits-
merkmalen und Leistung überschätzt“, so der Wissenschaftler.
Drei Prozent sind es bei Extraversion. Da nutzt auch das World
Wide Web wenig. Vergleicht man Persönlichkeitsfragebögen
von Internetnutzern mit ihren Profilen, so pendeln die Zusam-
menhänge von ex- und introvertiert zwischen null und vier Pro-
zent. Abgesehen davon, dass nicht ausgemacht ist, mit welcher
Eigenschaft die bessere Führungskraft gewonnen wird, urteilt
Kanning hart: „Das niedrige Niveau wird im Personalwesen
ignoriert. Im Grunde genommen lässt sich damit keine sinn-
volle Auswahlentscheidung treffen.“
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