PERSONALquarterly 2/2017 - page 52

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PERSONALquarterly 02/17
NEUE FORSCHUNG
_WEITERBILDUNG
dung an Weiterbildung teil. Wird dies herausgerechnet, zeigt
sich im reinen Bindungseffekt, dass die Weiterbildungsteil­
nahme positiv mit der normativen und affektiven Facette der
Bindung korreliert.
Implikationen für die Praxis
Die Fallstudie eines Industrieunternehmens, das in der Krise
großzügige Weiterbildung während Kurzarbeit anbietet, kann
wichtige Aufschlüsse darüber geben, unter welchen Bedin­
gungen Weiterbildung eine doppelte Rendite – höhere Quali­
fizierung und höhere Bindung – abwerfen kann. Das ist eine
wichtige Frage, wenn Weiterbildungskosten hoch sind und die
Gefahr der Abwanderung nicht von der Hand zu weisen ist.
Ein großzügiges Weiterbildungsprogramm kann unter Um­
ständen die organisationale Bindung erhöhen. Darauf weist
der reine Bindungseffekt in den Daten hin. Zwar haben sich
wohl auch Beschäftigte mit Abwanderungsplänen im Weiter­
bildungsprogramm für den externen Arbeitsmarkt zu qualifi­
zieren versucht, doch die Erfahrung der Weiterbildung selbst
ist positiv verknüpft mit der organisationalen Bindung in ihren
affektiven und normativen Facetten.
Was die Weiterbildungsinhalte angeht, so sind die Zusam­
menhänge differenziert. Ohne Abstriche empfehlenswert sind
arbeitsplatznahe Weiterbildungen (spezifische Weiterbildung).
Sie sind mit allen Facetten der Bindung positiv verknüpft.
Arbeitgeber können hier nicht nur damit rechnen, dass Be­
schäftigte aus rationalen Gründen stärker ans Unternehmen
gebunden werden. Vielmehr reagieren die Beschäftigten of­
fenbar auch mit mehr affektiver und normativer Bindung; sie
betrachten die Weiterbildung als Unterstützung und Geschenk.
Auch Weiterbildungen, die Beschäftigte außerhalb der beruf­
lichen Tätigkeit verwenden können (private Weiterbildung),
sind mit der normativen Bindung positiv verknüpft. Proble­
matisch hingegen sind in anderen Unternehmen verwertbare
Weiterbildungen. Sie schwächen die kalkulative Bindung (was
bekannt war), aber auch die normative (ein neues Ergebnis).
Insgesamt sollten Unternehmen bei der Konzeption ihrer Wei­
terbildungsprogramme darauf achten, dass Inhalte arbeits­
platzbezogen sind und die Arbeitnehmer die Kenntnisse in
ihrer Tätigkeit einsetzen können, sodass sie die Relevanz der
Weiterbildungsinhalte erkennen und anerkennen. Arbeitgeber
können zudem großzügige Weiterbildungen mit nichtberuflich,
privat verwertbaren Inhalten anbieten, um die normative Bin­
dung zu stärken.
Die besondere Konstellation in unserem Fallunternehmen
legt nahe: Qualifizierung während Kurzarbeit ist ein sinnvolles
Instrument, da es zu mehreren Zielen komplementär beiträgt.
Es kann erstens dazu genutzt werden, das Kompetenzniveau
der gesamten Belegschaft zu stärken, und zwar auch unterre­
präsentierter Gruppen wie der Geringqualifizierten. Gerade
sonst unterrepräsentierte Gruppen sind dadurch zu erreichen,
dass ein Angebot explizit auf alle Beschäftigtengruppen hin
ausgerichtet und arbeitsplatznah organisiert wird.
Qualifizierung während Kurzarbeit kann zweitens dazu
genutzt werden, Beschäftigung zu sichern und mit den indi­
viduellen Kompetenzen auch die unternehmerische Wand­
lungsfähigkeit zu stärken. Dabei sind in Zeiten der Krise
sowohl die Risiken der Abwanderung als auch Opportunitäts­
kosten (bei geringer Auslastung) vergleichsweise gering.
In Krisen wiederholt angewendet, kann das Instrument
drittens dazu beitragen, die Bedeutung von kontinuierlicher
Weiterbildung und die Idee des lebenslangen Lernens im Un­
ternehmen zu verankern.
Sofern das Fallunternehmen als typisch für die mittelstän­
dische Industrie in Deutschland genommen wird, lassen sich
Aussagen dazu treffen, welche Arten von Weiterbildung beson­
ders günstig sind, um die Bindung zu stärken. Dafür ist wichtig,
dass ein traditioneller psychologischer Vertrag vorherrscht.
Beschäftigte mit einer langen erwarteten Beschäftigung hono­
rieren, wenn der Arbeitgeber sie mit der Möglichkeit zu spezi­
fischer Weiterbildung an ihrem Arbeitsplatz unterstützt – und
womöglich nicht-berufsbezogene Weiterbildung anbietet. Ge­
nerelle Weiterbildung hingegen kann, gerade in Krisenzeiten,
als Bruch des psychologischen Vertrags und als Signal dafür
interpretiert werden, dass Arbeitsplätze in Gefahr sind.
Insgesamt scheint Weiterbildung während Kurzarbeit ein
gutes Instrument zu sein, um eine interne Form von Flexicurity
zu verwirklichen (Heyes 2013). Indem es die notwendigen Qua­
lifizierungen auf breiter Basis erhöht, trägt es zur Flexibilität
der Beschäftigten und Unternehmen bei. Indem es Beschäf­
tigung und Entgelt stabilisiert, trägt es zur Absicherung der
Beschäftigten bei. Das Instrument ist sowohl mit dem hiesigen
Beschäftigungssystem als auch dem offenbar vorherrschenden
traditionellen psychologischen Vertrag vereinbar.
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