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Die andere theoretische Perspektive beruht auf der Idee des
sozialen Tauschs (Blau, 1964). Weiterbildungsmöglichkeiten
werden als wertvolle Tauschressource in einer Arbeitsbezie­
hung angesehen, die von den Beschäftigten mit Loyalität und
Engagement belohnt wird. Drei Argumente sind aus diesem
Blickwinkel relevant. Investitionen in Weiterbildungen kön­
nen als großzügige Leistung oder Geschenk des Arbeitgebers
wahrgenommen werden (Akerlof, 1982). Die Förderung von
Weiterbildung kann auch interpretiert werden als organisati­
onale Unterstützung (Eisenberger et al., 1986) und als Bestand­
teil des psychologischen Vertrags, der unausgesprochenen
Erwartungen der Beschäftigten an das Beschäftigungsverhält­
nis und das Arbeitgeberverhalten (Rousseau, 1995). In jedem
Fall reagieren Beschäftigte aus sozialtauschtheoretischer
Sicht anders als in der rein ökonomischen Sicht: Weiterbil­
dung kann die Bindung in affektiver und normativer Hinsicht
erhöhen, grundsätzlich sogar dann, wenn die Weiterbildung
genereller Art ist.
Solche offenbar vielschichtigen Wirkungen von Weiterbil­
dung lassen sich im Modell der Mitarbeiterbindung abbilden
(Allen/Meyer, 1990). Dort werden drei Facetten der Mitarbeiter­
bindung unterschieden (vgl. Abb. 2). Die kalkulative Bindung
bezieht sich auf das rein ökonomische Kosten-Nutzen-Kalkül;
ich bleibe im Unternehmen, weil ich muss, denn die Wechsel­
kosten sind zu hoch. Die affektive Bindung besteht in einer
emotionalen Verbundenheit; ich bleibe im Unternehmen, weil
ich möchte, denn ich habe z.B. positive Unterstützung erfahren.
Die normative Bindung schließlich besteht in einer wahrge­
nommenen Schuld gegenüber dem Arbeitgeber; ich bleibe im
Unternehmen, weil ich mich dazu verpflichtet fühle und im
Sinne der Reziprozität das Austauschverhältnis im Gleichge­
wicht halten möchte. Es liegt nahe, die ökonomische und die
sozialtauschtheoretische Perspektive miteinander zu verknüp­
fen. Jüngere Beiträge tun dies auch – allerdings nur bei der
Ableitung von Forschungshypothesen (vgl. etwa Kampkötter/
Marggraf, 2015), nicht jedoch beim Messmodell. Das heißt,
vorangehende Studien nehmen keine doppelte Differenzierung
von Weiterbildungsarten und von Facetten der Bindung vor.
Untersuchungsmodell
Im Untersuchungsmodell werden die Arten von Weiterbildung
(spezifisch, generell, privat) und die Facetten der Bindung (kal­
kulativ, affektiv, normativ) gleichzeitig differenziert. So lassen
sich die ökonomische und sozialtauschtheoretische Perspektive
kombinieren und nuancierte Effekte des Programms sichtbar
machen. Der betrachtete Fall ist ein größeres mittelständisches
Unternehmen in der verarbeitenden Industrie, das niemals
betriebsbedingt kündigen musste. Es ist daher davon auszu­
gehen, dass die Beschäftigten hier einen traditionellen psy­
chologischen Vertrag eingegangen sind: Sie gehen davon aus,
dass der Arbeitgeber ihnen die Beschäftigung imUnternehmen
kontinuierlich aufrechterhält und sie entsprechend fördert. Die
Beschäftigungsfähigkeit (Employability) für den externen Ar­
beitsmarkt dürfte hingegen bei den meisten Beschäftigten eine
geringere Rolle spielen, da sie von einer betriebsinternen Kar­
riere ausgehen. Es ist weiterhin davon auszugehen, dass mit
dem Weiterbildungsprogramm vornehmlich Inhalte vermittelt
werden, die spezifisch sind, da der Arbeitgeber das Programm
innerbetrieblich umgesetzt und weitgehend (abgesehen von
der Förderung durch Kurzarbeit) finanziert hat. Gleichwohl
können Mischformen der Weiterbildung auftreten. In diesem
Kontext wurden die folgenden Zusammenhänge erwartet (vgl.
auch Abb. 3).
3
Hypothese 1a: Spezifische Weiterbildung erhöht die kalku­
lative Bindung.
3
Hypothese 1b: Spezifische Weiterbildung erhöht die affektive
Bindung.
3
Hypothese 1c: Spezifische Weiterbildung erhöht die norma­
tive Bindung.
Spezifisches Humankapital ist im Rahmen der Stelle ver­
wertbar und verspricht eine höhere Produktivität auf der Stelle
(evtl. verbunden mit höherem Entgelt und einer Beförderung)
und erhöht die Kosten einer Abwanderung. Demnach steigt
die kalkulative Bindung (Hypothese 1a). Weiterhin hilft es
bei der Erfüllung der Arbeitsrolle, es wird als organisationale
Unterstützung und als Geschenk wahrgenommen, sodass die
affektive und normative Facette ebenfalls gestärkt werden (Hy­
pothesen 1b, 1c).
Quelle: Eigene Erstellung auf Basis von Meyer/Allen/Smith (1993).
Abb. 2:
Arten der organisationalen Bindung
Art der Bindung Basis
Basis-Item zur Messung
kalkulativ
• ökonomische
Gebundenheit
• Kosten-Nutzen-Kalkül
„Zu vieles in meinem Leben
würde sich verändern, wenn
ich mein Unternehmen derzeit
verlassen würde.“
affektiv
• emotionale
Verbundenheit
• Identifikation und
Loyalität
„Ich empfinde mich als
‚Teil der Familie‘ meines
Unternehmens.“
normativ
• Verbundenheit aus
Pflichtgefühl
• Reziprozität
„Ich würde mich irgendwie
schuldig fühlen, wenn ich
mein Unternehmen jetzt
verlassen würde.“
1...,37,38,39,40,41,42,43,44,45,46 48,49,50,51,52,53,54,55,56,57,...68
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