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02/17 PERSONALquarterly
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ermutlich wird in betriebliche Weiterbildung immer
noch zu wenig investiert. Einerseits ist kontinuier­
liche Weiterbildung notwendig, um die unterneh­
merische Wettbewerbsfähigkeit und die individuelle
Beschäftigungsfähigkeit gleichermaßen aufrechtzuerhalten.
Andererseits erfordert gut verwertbare Weiterbildung, dass
Arbeitgeber die Maßnahmen anstoßen, organisieren und teil­
weise finanzieren. Gerade damit riskieren Arbeitgeber jedoch,
dass Beschäftigte abwandern, nachdem sie sich auf Kosten
des alten Arbeitgebers fit gemacht haben für den externen
Arbeitsmarkt.
In dieser Studie wurde ein Fall untersucht, der eigentlich
Schule machen sollte, aber womöglich in den zurückliegenden
Boomjahren in Vergessenheit geraten ist: Das Unternehmen
gehört zu den wenigen, die in der Krise 2009 Kurzarbeit
mit unternehmensinterner Weiterbildung verbunden haben.
Eine Beschäftigtenbefragung erbrachte eine Reihe interes­
santer Erkenntnisse. So hat die Teilnahme an Weiterbildung
die organisationale Bindung gestärkt. Zudem ist das breite
Schulungsangebot auch von vielen Beschäftigtengruppen
wahrgenommen worden, die sonst selten in den Genuss von
Weiterbildung kommen. Für die Bindung ist besonders güns­
tig, wenn die vermittelten Inhalte am Arbeitsplatz oder über
den ausgeübten Beruf hinaus als nützlich wahrgenommen
werden. Weiterbildung während Kurzarbeit ist vermutlich in
Deutschland besonders sinnvoll: Es wird zwar viel diskutiert,
dass Beschäftigte von ihrem Arbeitgeber heute keine Beschäf­
tigungssicherheit, sondern jederzeitige allgemeine Beschäfti­
gungsfähigkeit (Employability) erwarten. Doch für diese neuen
Erwartungen an das Beschäftigungsverhältnis, die auch unter
dem Begriff „neuer psychologischer Vertrag“ diskutiert wer­
den, gibt es im vorliegenden Unternehmen wenig Hinweise:
Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter erwarten in ihrem Un­
ternehmen weiter beschäftigt zu werden und gehen insofern
einen traditionellen psychologischen Vertrag ein. Damit bietet
das Instrument Qualifizierung während Kurzarbeit die Mög­
lichkeit, das hierzulande verfolgte Modell der internen Flexi­
curity amArbeitsmarkt zu fördern (Heyes, 2013). „Flexicurity“,
das sich als Kunstwort aus „Flexibility“ und „Security“ zusam­
mensetzt, meint die Verbindung von Sicherheit der Beschäf­
Qualifizieren und binden:
Betriebliche Weiterbildung während Kurzarbeit
Von
Dr. Johanna Flore
und
Prof. Dr. Martin Schneider
(Universität Paderborn)
tigten mit der permanenten Fähigkeit der Unternehmen, sich
an neue Bedingungen anzupassen.
Weiterbildung während Kurzarbeit
Kurzarbeit gilt als das zentrale beschäftigungspolitische Ins­
trument zur Bewältigung der Krise der Jahre 2008 und 2009.
Mit verschiedenen Maßnahmenpaketen hatte die Bundesre­
gierung die Inanspruchnahme für Unternehmen erleichtert.
Das arbeitsmarktpolitische Instrument der Kurzarbeit erlebte
daraufhin eine Renaissance. Doch die Möglichkeiten zur Qua­
lifizierung während Kurzarbeit, die gleichzeitig geschaffen
wurden, blieben weitgehend ungenutzt (Crimmann/Wießner,
2009). Dabei ist Weiterbildung besonders in konjunkturellen
Krisen wichtig, um den technisch-organisatorischenWandel zu
bewältigen, Fachkräftemangel vorzubeugen und wettbewerbs­
fähig zu bleiben (Bellmann/Leber, 2010). Insbesondere wenn
es darum geht, sich für den kommenden Aufschwung erfolg­
reich zu positionieren, können fehlende Kompetenzen erheb­
liche Wettbewerbsnachteile bedeuten. Qualifizierung während
Kurzarbeit bietet die Möglichkeit, Ausfallzeiten produktiv zu
nutzen. Unternehmen können zielgerichtete Weiterbildungs­
maßnahmen anbieten, um das Kompetenzniveau der gesamten
Belegschaft zu stärken, auch dasjenige der in Weiterbildung
häufig unterrepräsentierten Gruppen wie der Geringqualifi­
zierten. Damit kann Qualifizierung während Kurzarbeit auch
einen wichtigen Beitrag zum lebenslangen Lernen und zu ei­
ner unternehmensinternen Variante von Flexicurity leisten
(Heyes, 2013).
Warum wurde das Instrument in der Krise dennoch so zu­
rückhaltend genutzt? Eine ganze Reihe von Gründen ist plau­
sibel (vgl. Flore, 2014, Seite 94-96). In Krisenzeiten fällt das
betriebliche Weiterbildungsbudget häufig dem Rotstift zum
Opfer. Weiterbildung verursacht Kosten, aber der Zuwachs an
Humankapital kann nicht in der Bilanz aktiviert werden. Bil­
dungsinvestitionen sind zudem generell unsicher, in der Krise
umso mehr, da der Wiederaufschwung ungewiss ist und ein
späterer Personalabbau möglich bleibt. Und schließlich besteht
grundsätzlich die Gefahr, dass Beschäftigte nach einer Weiter­
bildung abwandern, was für die Unternehmen mit dem Verlust
der Humankapitalinvestitionen verbunden wäre. Allerdings
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