PERSONALquarterly 1/2016 - page 23

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ie organisationspsychologische Perspektive auf
das Individualverhalten von Mitarbeitern hat eine
lange Tradition, sich des Rollenkonzepts zu bedie-
nen. Damit gemeint sind bestimmte Verhaltenser-
wartungen, die von unterschiedlichen Anspruchsgruppen wie
Kollegen und Vorgesetzten, aber auch im privaten Bereich an
den Rolleninhaber herangetragen werden (Biddle, 1979). Da-
bei wird zumindest oftmals implizit unterstellt, dass im beruf-
lichen Kontext Personen lediglich eine Rolle einnehmen.
Diese Beobachtung einer Rollenausübung und Organisati-
onszugehörigkeit sowie die damit verbundene Grenzziehung
zwischen Arbeit und Freizeit stößt heute – und wohl zuneh-
mend auch künftig – in vielen Berufszweigen an Grenzen. Denn
oft haben Individuen unterschiedliche, sich teilweise vermen-
gende Rollen inne. Zu denken wäre etwa an die Mitgliedschaft
in zum Hauptberuf passenden Branchenverbänden, etwa in
internetbezogenen Interessensvereinigungen, wie Wikimedia
oder dem Chaos Computer Club, als Pendant zu Hauptberufen
in der Softwarebranche. Diese Rollen im Freiwilligendienst
sind eindeutig vom Hauptberuf abgegrenzt, gleichwohl sind
sie hierfür nicht unbedeutend. So machen sich Unternehmen
derartige Erfahrungen von Arbeitnehmern teilweise gezielt zu-
nutze, indem bereits bei der Personalauswahl auf nebenberuf-
liches Engagement Wert gelegt wird und auch bei der eigenen
Außendarstellung von Unternehmen weisen diese gerne auf
ihre sozial engagierten Mitarbeiter hin. Bislang sind jedoch
bis dato kaum Studien zu Relevanz und Nutzen von multiplen
Rollen vorzufinden. Insbesondere erscheint bislang unklar, wie
diese aus Unternehmenssicht bewusst genutzt werden können,
um organisationale Prozesse zu stabilisieren und damit die
Resilienz, sprich die Robustheit auf Unternehmensebene zu
steigern. Daher verfolgen wir die Forschungsfrage:
Wie lassen sich freiwillige Rollen, die Arbeitnehmer außer-
halb des Hauptberufs innehaben, aus Unternehmenssicht nut-
zen, um die organisationale Resilienz abzusichern?
Zur Beantwortung der Forschungsfrage hat das Autorenteam
eine qualitative Studie mit dem Bereich der Ordnungs- und
Sicherheitsdienste der U.S. Air Base Ramstein durchgeführt,
deren Angestellte zu 98% noch in einem Freiwilligendienst au-
ßerhalb der U.S. Air Base engagiert sind. Die Untersuchungser-
Organisationale Resilienz durch multiple
Rollen – Ein Arbeitsansatz für die Zukunft
Von
Dr. Timo Braun, Dr. Anja Danner-Schröder
und
Prof. Dr. Gordon Müller-Seitz
(Technische Universität Kaiserslautern)
gebnisse eröffnen eine neue Perspektive auf rollentheoretische
Organisationsforschung und zeigen, dass Organisationen sys­
tematisch durch die multiplen Rollen ihrer Mitarbeiter profi-
tieren können.
Eine interorganisationale Perspektive auf Rollen
Die Personalforschung nimmt Rollenerwartungen in den Blick,
die sowohl in der informellen Interaktion als auch in Form von
Arbeitsverträgen, Stellenbeschreibungen und Betriebsver-
einbarungen formell artikulierbar sind. Fasst man alle diese
normativen Verhaltenserwartungen gegenüber einer Position
zu einem Bündel zusammen, so wird dieses mitunter als Rol-
le bezeichnet. Aus personalwirtschaftlicher Sicht gilt es vor
allem die Einflussgrößen für Rollenverhalten zu analysieren,
etwa die Sanktionsmacht von Vorgesetzten, Gruppe und Orga-
nisation, die rollenkonformes Verhalten honoriert und damit
verfestigt oder abweichendes Verhalten sanktioniert.
Vor diesem Hintergrund lassen sich funktionale Rollen-
abweichungen (=Extrarollenverhalten) und dysfunktionale
Rollenabweichungen (=kontraproduktives Verhalten) unter-
scheiden. Vor allem das Extrarollenverhalten erfreut sich in
der Forschung und auch in der Unternehmenspraxis besonders
positiver Resonanz, schließlich wünschen sich wohl die meis­
ten Arbeitgeber loyale Mitarbeiter, die Kreativität und Eigen­
initiative einbringen und sich über das geforderte Maß hinaus
für das Unternehmen einsetzen. Entsprechend umfangreich
wurden positive Folgen von Extrarollenverhalten, wie es bspw.
im Konstrukt „Organizational Citizenship Behavior“ (OCB) er-
fasst ist, analysiert. Die Ergebnisse zeigen, dass Extrarollen-
verhalten vor allem dazu führt, dass die Zusammenarbeit in
Organisationen reibungsloser erfolgt und Hindernisse im Ar-
beitsablauf leichter überwunden werden (Organ et al., 2006).
Dadurch wird letztlich die Stabilität und Widerstandsfähigkeit
von Organisationen – neuerdings auch als organisationale Re­
silienz bezeichnet – erhöht. Der Resilienzbegriff ist hier von der
psychologischen Widerstandsfähigkeit, von der oft in der Per-
sonalforschung die Rede ist, zu unterscheiden und beschreibt
vielmehr die Fähigkeit einer Organisation, sich auch gegen
unvorhergesehene, häufig negative Wirkeffekte hervorrufende
Umstände zu behaupten (Müller-Seitz, 2015).
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