PERSONALquarterly 4/2015 - page 31

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einschätzungen ganz allgemein unterliegen. Gerade im
beruflichen Umfeld wird häufig die Verfälschbarkeit dieser
Verfahrensklasse unter Begriffen wie Beschönigungstendenz,
Faking oder soziale Erwünschtheit diskutiert. Zudem unterlie-
gen Selbsteinschätzungen einem Alterseffekt: Der Umfang der
Datenbasis, auf die zur Selbsteinschätzung zurückgegriffen
werden kann, steigt mit zunehmender Lebenserfahrung. Von
einem Einsatz von Selbsteinschätzungsverfahren bei jungen
Kandidaten sollte folglich abgesehen werden.
Das sicherlich größte Manko von Selbsteinschätzungen ist
aber ihre nur geringe Korrelation zu objektiven Kreativitätsleis­
tungsmaßen. Ursache könnte sein, dass Personen bei der Ein-
schätzung ihrer kreativen Fähigkeiten ein bereichsspezifisches
Selbstbild (z.B. Konzentration auf kreative Hobbys oder Ausblen-
den des kreativen Umgangs mit Sprache) aktivieren, damit aber
das berufsbezogen relevante Spektrum außer Acht lassen. Mit
der Erbringung tatsächlich kreativer Leistungen hängt das Kre-
ativitätsselbstbild nicht in ausreichendem Maße zusammen, als
dass es als Verfahren zur Messung kreativer Leistungsfähigkeit
geeignet ist. Einen wertvollen Beitrag kann die Erfassung des
kreativen Selbstbilds jedoch insofern leisten, als es ein Maß für
die Motivation zu kreativem Verhalten zu sein scheint.
Weitaus vielversprechender zur Vorhersage kreativer Leis-
tungen ist hingegen das Einholen von Fremdurteilen über
das kreative Potenzial einer Person. So können z.B. Vorge-
setzte, Trainer oder Kollegen gebeten werden, die kreativen
Fähigkeiten einer Person zu bewerten. Sofern Kreativität als
Anforderung an Mitarbeiter gestellt wird und damit (z.B. im
Kompetenzmodell) als Beurteilungsgrundlage verankert ist,
können auch Leistungsbeurteilungen herangezogen werden.
Neben klassischen Urteilseffekten (etwa individuelle Mil-
de- bzw. Strengetendenzen) und persönlichen Strategien der
Beurteiler kann auch allein die Dauer und Intensität der Per-
son-Beobachter-Beziehung das Urteil beeinflussen. So ist eine
treffende Einschätzung von Fähigkeiten oder gar Eigenschaf-
ten erst nach einer Zeit des Kennenlernens möglich; ein zu
gefestigter, evtl. langjähriger Umgang wiederummag den Blick
auf Veränderungen seitens des zu Beurteilenden verstellen.
Abhilfe kann hier ein geeigneter Interviewleitfaden schaffen,
der es trainierten Beurteilern erlaubt, jene Merkmalsbereiche
zu beleuchten, die zur Prognose kreativer Leistungen relevant
sind. Wie Batey, Rawles und Furnham (2009) zeigen, ist eine
Kreativitätsdiagnostik via Fremdeinschätzung nicht nur auf
die zu beurteilenden Personen bekannte Beurteiler wie etwa
Vorgesetzte oder Peers beschränkt, sondern kann bei leitfa-
dengestützten Interviews auch von trainierten Interviewern
durchgeführt werden. Doch gerade die Erarbeitung eines Ge-
sprächsleitfadens zur Identifikation kreativen Potenzials stellt
Diagnostiker in der Praxis vor große Herausforderungen. Zu-
sätzlich zur Formulierung geeigneter Fragen müssen auch
Bewertungsmaßstäbe definiert werden, welche Antworten
letztlich als Indikator kreativen Potenzials gelten und welche
nicht. Um alle wesentlichen Einflussfaktoren auf das Erbringen
kreativer Leistungen einschätzen zu können, beansprucht das
zugehörige Interview sicherlich nicht nur eine gewisse Dauer,
sondern wird von den zu Beurteilenden auch die hinreichende
Introspektion und auch die Motivation zur ehrlichen Beantwor-
tung der Fragen erfordern.
Zusammengefasst sind sowohl Selbst- als auch Fremdein-
schätzungen in ihrer Qualität davon beeinflusst, wie aufrichtig
Personen ihr Urteil über sich selbst oder die zu beurteilende
Person abgeben können und wollen. Unter praktischen Ge-
sichtspunkten ist auch die Altersabhängigkeit der Ergebnisse
relevant: Bei jungen Bewerbern können oft noch nicht ausrei-
chend Verhaltensbeispiele bzw. Situationen herangezogen wer-
den, die kreative Leistungen widerspiegeln konnten. Vor allem
aber wurde gezeigt, dass Selbsteinschätzungen der Kreativität
weniger mit tatsächlichen kreativen Leistungen als der Motiva-
tion, kreativ tätig zu sein, zusammenhängen. Eine valide Prog-
nose des kreativen Potenzials erlauben sie damit nur bedingt.
Kreativitätstests
Zur Personalauswahl und -entwicklung, aber auch zur effekti-
ven Zusammensetzung von Teams kommen schon lange Test-
verfahren zum Einsatz. Diese Verfahrensklasse umfasst un-
terschiedlichste Instrumente: Intelligenz- und Fähigkeitstests,
Wissens- und Fachkenntnistests, Persönlichkeitsfragebogen,
Motivationsskalen und vieles mehr. Die Verfahren lassen sich
weiter hinsichtlich ihres Standardisierungsgrads und damit
der Unabhängigkeit der Ergebnisse von den durchführenden
Personen (Objektivität) kategorisieren und können auf Ba-
sis empirischer Analysen dahingehend bewertet werden, in-
wiefern sie die intendierten Eigenschaften, Fähigkeiten oder
Einstellungen erfassen (Konstruktvalidität), wie messgenau
(reliabel) das gelingt und wie genau die Vorhersage erfolgsre-
levanten Verhaltens bzw. beruflicher Erfolgskriterien (Kriteri-
umsvalidität) möglich ist. Aus Anwendersicht kommt neben
den psychometrischen Gütekriterien Objektivität, Reliabilität
und Validität besonders auch der Akzeptanz des Verfahrens
seitens der Testteilnehmer eine große Bedeutung zu.
Basierend auf über 60 Jahren psychologischer Forschung zu
den individuellen Voraussetzungen für Innovationen steht auch
zur Erfassung des kreativen Potenzials eine Vielzahl an Tests
zur Verfügung. So lassen sich zunächst drei eigenschaftsba-
sierte Verfahrensgruppen unterscheiden: (1) Verfahren, welche
die kognitiven Voraussetzungen für Kreativität messen (etwa
Tests zum divergenten Denken), (2) Instrumente, die auf die
Ausprägung relevanter Persönlichkeitsmerkmale abheben (z.B.
Persönlichkeitsskalen zur Erfassung der Offenheit gegenüber
1 Die psychologische Kreativitätsforschung trennt Kreativität von Innovativität in dem Sinne, dass Kreati­
vität auf die Produktion neuartiger Ideen fokussiert, während Innovativität deren Anpassung an reale
Bedingungen und Umsetzung bzw. Durchsetzung im Markt umfasst. In diesem Beitrag wird Kreativität
als personale Voraussetzung für Innovationen angesehen.
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