Immobilienwirtschaft 3/2016 - page 41

41
0
3.2016
aneinandergereihten Brüchen, Niederlagen und Krisen. Und sei-
ner fortwährenden Weigerung, diese zu akzeptieren. Das zeigt
auch Julian Rosefeldts großartige Filminstallation Manifesto im
Hamburger Bahnhof: Parallel laufende Filme bringen zornige, ju-
gendlich und unerhört aktuell klingendeWorte auf 13 Leinwände.
Für jeden Film hat er historische Originaltexte aus zahlreichen
Manifesten von Künstlern, Architekten, Choreografen und Fil-
memachern zusammengebastelt – darunter Texte von Filippo
TommasoMarinetti, TristanTzara, KazimirMalevich, André Bre-
ton, Claes Oldenburg, Yvonne Reiner, Sturtevant, Adrian Piper,
Sol LeWitt oder Jim Jarmusch.
Durch Kürzungen und Kombination von Texten verschie-
dener Autoren sind so 13 poetische Monologe entstanden, die
Julian Rosefeldt mit den Arbeits- und Lebenswelten der Gegen-
wart verbindet. Verkörpert und vorgetragen werden sie von der
australischen Schauspielerin Cate Blanchett.
DATENBERGE
Globalisierung, Urbanisierung und Individualisie-
rung sind unser Leben noch auf lange Sicht bestimmende Ent-
wicklungen, die eng zusammenhängen und sich verstärken. Su-
perferenz wird durch diese Trends und die neuen Internetmedien
raketenartig beschleunigt.Wir haben heutemassive Datengebirge
zur Verfügung. Anders als unsere Vorgänger. Big Data, also rie-
sige Datenmengen, und Long Data, über Ewigkeiten gesammelte
Daten, führen zu einem kolossal verbesserten Verständnis von
den Welten, in denen wir heute und morgen denken und leben.
Gapminder, der Human Development Index oder die Mega
Trend Map vom Zukunftsinstitut mit 165 unterschiedlichen mo-
mentan aktiven Trends zeigen jedem Interessierten, wie komplex
unterschiedlichste Entwicklungenmiteinander verknüpft sind, ja
gerade erst dadurch halbwegs erklärbar werden.
SOCIAL MEDIA
Connectivity, ein weiteres Zauberwort, betrachtet
das Zusammenwirken von immermehrMenschen undOrganisa-
tionen, besonders über Internet und neueMedien. Konnektivität
bezeichnet die neuen Organisationsformen der Menschheit in
Netzwerken. Der technische Wandel ist bereits atemberaubend;
die wahre Revolution liegt aber im Sozialen. „Der Trend öffnet
Unternehmen und administrative Strukturen nach außen. Er
wird die ganze Gesellschaft umformen,“ so das Zukunftsinstitut.
Es ist nötig, die Städte immer wieder an diese radikal ver-
änderten gesellschaftlichen Bedürfnisse anzupassen. Durch die
hohe Finanzkraft, die in die Städte fließt, gibt es die Chance, sie
an die Bedürfnisse der turbomobilisierten, milliardenfach ver-
bundenen Gesellschaften zügig anzupassen. Wir leben in über
und über superferenten Zeiten, in denen Entscheidungen von
heterogenen, pluralistischen Gesellschaften getroffen werden.
ERFOLGREICHE STÄDTE
Großartige Städte sind deshalb nicht idea-
le Städte. Erfolgreiche Städte sind superferente Städte: vielfältig,
widersprüchlich, vernetzt, aufregend, inspirierend, roh und kul-
tiviert zugleich, reich an Geschichten und mit lebendiger Ge-
genwart. Und sie haben für alle offene Institutionen. Mit plu-
ralistisch konstituierter Verfassung, innovativen Unternehmen,
bunter Architektur, kluger Stadtplanung, kreativen Menschen,
Toleranz und Rechtsstaatlichkeit, öffentlichen Plätzen für Fla-
neure, Passanten und Demonstranten. Eine großartige Stadt ist
das Ergebnis von Milliarden mehr oder weniger abgestimmten
Entscheidungen von sehr vielen unterschiedlichen Menschen.
ANDERE WELTEN
Die heutigen Ausgangsbedingungen haben sich
dadurch radikal verändert. Deshalb sind völlig neue Strategien
gefordert, bei denen Analyse und Empathie einander kreuzen.
Es sind Methoden gefragt, die viel einschließen und Kontraste
und Konflikte nutzen, um geschlossene Systeme zu öffnen und
Widersprüchliches zusammenzuführen. Superferenz identifiziert
die rivalisierenden Kräfte als die essenzielle Dynamik des Lebens.
Wir müssen gründlicher hinsehen, zuhören, forschen und
verstehen, um die immer differenzierteren Welten und immer
enger verbundenenGesellschaften, Organisationen und Personen
richtig zu begreifen. Erst auf dieser Grundlage kann eine Vor-
stellung von dem, wie es sein soll – das heißt: eine Vision für
die jeweilige Aufgabe –, aus endlosen Möglichkeiten den Strom
bilden, der alles in eine Richtung fließen lässt.
In vielen Dimensionen denken statt nur an der Oberfläche, so wandelt
sich die Gesellschaft. Und erfolgreiche Städte werden zu Spiegeln dieser
Veränderungen: vielfältig, widersprüchlich, superferent.
«
ZUR PERSON
Eike Becker
leitet seit Dezember 1999 zusammen mit Helge Schmidt das Büro Eike Becker_Architekten in Berlin.
Internationale Projekte und Preise bestätigen seitdem den Rang unter den erfolgreichen Architekturbüros in Europa. Eike Becker_Architekten arbeiten
an den Schnittstellen von Architektur und Stadtplanung mit innovativen Materialien und sozialer Verantwortung.
1...,31,32,33,34,35,36,37,38,39,40 42,43,44,45,46,47,48,49,50,51,...76
Powered by FlippingBook