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INVESTMENT & ENTWICKLUNG
I
MITBAUZENTRALE & CO.
Elisabeth Merk die Situation. Ihre Reakti-
on darauf ist zum bundesweit beachteten
Modell geworden: Zunächst beschloss die
Stadt, bis zu 40 Prozent eigener Flächen
exklusiv an Baugenossenschaften zu ver-
geben. Die Nachfrage war jedoch verhal-
ten – traditionelle Genossenschaften ar-
beiteten häufig an ihrer Belastungsgrenze,
interessierte Bürger verunsicherte die feste
Rechtsform mit Auflagen und Pflichten.
MÜNCHENS „MITBAUZENTRALE“
Hier sah
die Stadt eine Möglichkeit einzuhaken:
Mit der „Mitbauzentrale“ steht Grün-
dungswilligen seit eineinhalb Jahren eine
zentrale Beratungsstelle zur Verfügung.
„Wir waren unzufrieden mit der
Münchner Situation und wollten selbst
etwas auf die Beine stellen“, beschreibt Ge-
nossenschaftsvorstand Sowa dieMotivati-
on. Das Bündnis vor allemaus Architekten
und Stadtplanern sieht sich in erster Linie
als Baugenossenschaft, möchte aber auch
eine Diskussion über Stadtentwicklung
und architektonische Qualität anstoßen.
„Wir wollen gar nicht in erster Linie für
uns selbst bauen, die meisten sind mit
Wohnraum versorgt“, erklärt Sowa.
Die Hauptgeschäftsführerin desWoh-
nungswirtschaftsverbands GdW, Ingeborg
Esser, sieht dies als bundesweites Phäno-
men. „Wer jetzt gründet, möchte meist
einen Mehrwert“, sagt Esser. Mehrgene-
rationen- und autofreies Wohnen etwa
oder die Übernahme von Pflegeleistungen
– viele der jungen Genossenschaften ver-
binden das Schaffen von Wohnraum mit
weitergehenden Zielen.
Der GdW versucht über seine „Bera-
tungsprüfer“ die Kosten für Prüfungen
zu minimieren und Hilfestellung bei den
ersten Schritten zu leisten. Die Nachfrage
steigt laut Esser vor allem beim Bildungs-
bürgertum und in den Ballungsräumen.
Tatsächlich unterstützt etwa in Hamburg
seit mehr als zehn Jahren eine landes-
eigene „Agentur für Baugemeinschaften“
D
iese Nachfrage hat Markus Sowa und
seine 15 Gründungsgenossen dann
doch überrascht. An die 400 Münch-
ner kamen zu einem ersten öffentlichen
Treffen der jungen Baugenossenschaft
„Kooperative Großstadt“. Wer keinen
Stuhl mehr ergatterte, reihte sich amRand
auf. „Die Veranstaltung war ein voller Er-
folg“, zeigte sich der Architekt zufrieden.
Die Resonanz auf die Initiative kommt
nicht von ungefähr: Das Gründen von
Wohnungsbaugenossenschaften boomt.
Allein in Bayern seien in den vergangenen
fünf Jahren fast 20 neue Genossenschaften
gegründet worden, berichtet der Direktor
des Verbands bayerischer Wohnungs-
unternehmen (VdW), Hans Maier – bei
mehr als 330 Genossenschaften insgesamt
im Bundesland. „Wir erleben eine Art Re-
naissance dieser Organisationsform“, sagt
Maier. Der Dachverband GdW spricht
von an die 15 Genossenschaftsgrün-
dungen pro Jahr.
Die Entwicklung folgt damit einem
Langzeit-Trend. Genossenschaften sind
stets in Zeiten entstanden, in denen städ-
tischer Wohnraum knapp wurde. Sie
bieten die Möglichkeit, der einfachen
Bevölkerung ein bezahlbares Dach über
dem Kopf zur Verfügung zu stellen, und
das ohne die Beteiligung von Investoren.
So hat sich eine Vielzahl der traditionellen
Wohnungsbaugenossenschaften in der
Zeit der Industrialisierung gegründet,
nach dem Ersten und nach dem Zweiten
Weltkrieg.
Auch wenn sich die Lage in Großstäd-
ten derzeit weniger dramatisch gestaltet
als in den Notperioden des vergangenen
Jahrhunderts – vielerorts verzweifelt die
Mittelschicht auf der Suche nach inner-
städtischemWohnraum. Besonders deut-
lich wird das in ohnehin hochpreisigen
und angespannten Märkten wie Mün-
chen. „Bei uns laufen die Preise so aus
dem Ruder, dass wir konzeptionell etwas
machenmüssen“, beschreibt Stadtbaurätin
Wegen Wohnungsnot –
Renaissance der Genossenschaften
Sie sind wieder angesagt.
In Zeiten von Wohnungs-
knappheit erleben nicht nur
bestehende Gemeinschaften
regen Zulauf, es gründen sich
auch zahlreiche neue Ge-
nossenschaften. Häufig geht
es ihnen um mehr als nur
bezahlbaren Wohnraum, wie
das Beispiel München zeigt.
20
neue Baugenossenschaften sind
in den vergangenen fünf Jahren
allein in Bayern gegründet wor-
den. Auch bundesweit boomt die
Organisationsform: In Deutsch-
land entstehen jährlich rund 15
neue Genossenschaften.