CONTROLLER Magazin 2/2018 - page 30

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ten und Erträge sowie die geplanten Maßnah-
men im Risikofall galten. Zusätzliches Material
kann durch ein strukturiertes Interview erho-
ben werden. Besonders nützlich ist es, wenn
man Interviews kurz vor dem Entscheidungs-
zeitpunkt durchführt und Entscheidungsträger
zu ihrer Wahrnehmung von Risiken und kriti-
schen Erfolgsfaktoren befragt. Der systemati-
sche Vergleich der Ex-ante- und Ex-post-Be-
wertungen von Risiken und Erfolgsfaktoren
kann dem bewussten Lernprozess dienen und
der Gewichtung w
2
die erforderliche Aufmerk-
samkeit schenken.
In unserem Fallbeispiel kann die hier aufge-
führte Formel nicht nur auf die Ermittlung von
Planwerten, sondern auch auf die Formulie-
rung von Erwartungen hinsichtlich der Leistung
des verbleibenden Geschäftsführers und des
Erfolges der geplanten Post-Merger-Integrati-
on angewendet werden. Das Management von
UnitedPower ist davon ausgegangen, dass
nach dem Closing der verbleibende Geschäfts-
führer zügig mit der Umsetzung der von ihm
vorgesehenen Integrationsmaßnahmen an-
fängt. In der Tat sah der verbleibende Ge-
schäftsführer die vorgeschlagenen Maßnah-
men sehr kritisch und weigerte sich, diese um-
zusetzen. Im Ergebnis verzögerte sich die Ein-
führung von neuen Produkten, was zu
wesentlichen Abweichungen im ersten und den
darauffolgenden Jahren geführt hat. Diese un-
erfüllte Erwartung könnte ein Zeichen dafür
sein, dass das Management einer Illusion der
Kontrolle unterlag. Der Käufer hat übersehen,
dass er in seiner Bewegungsfreiheit hinsicht-
lich des übernommenen Unternehmens wäh-
rend der Earn-out-Periode unter bestimmen
Einschränkungen stehen wird. Dies hat die or-
ganisatorische und wirtschaftliche Eingliede-
rung des Unternehmens und ihre Anpassung
an die standardisierten Prozesse erschwert.
Bestimmte Vorteile aus der Übernahme konn-
ten vorerst gar nicht realisiert werden. Unter-
schiedliche Vorstellungen darüber, wie sich das
übernommene Unternehmen weiterentwickeln
soll, gingen sogar so weit, dass der verbleiben-
de Geschäftsführer das Management von Uni-
tedPower verklagt hat. Dieses Szenario war
gänzlich unvorhersehbar. Das Management hat
sich gründlich verkalkuliert und lange ge-
braucht, das einzusehen. Der vorgeschlagene
gerichtliche Vergleich wurde vom Management
·
Hohe w
1
:
Einschätzungen von Variablen, die
sich sehr volatil verhalten können, basieren
auf historischen Werten oder willkürlich ge-
setzten Annahmen => ein Zeichen für An-
kereffekt
·
Niedrige w
2
:
Lernprozesse aus den vergan-
genen Soll-Ist-Abweichungen werden als
weniger relevant betrachtet, was damit be-
gründet wird, dass für die früheren Abwei-
chungen externe Faktoren verantwortlich
waren => ein Zeichen für selbstwertdien-
liche Verzerrung
·
Niedrige w
3
:
Die neuen Informationen wer-
den aus dem Grund ignoriert, dass sie nicht
dem gängigen Bild entsprechen => ein Zei-
chen für Repräsentativitätsheuristik
·
Niedrige w
3
:
Den neuen Informationen, die
insbesondere auf die mit einem neuen Vor-
haben verbundenen Risiken verweisen, wird
nicht genügend Bedeutung beigemessen,
weil diese Risiken vom Entscheidungsträger
als weniger bedeutsam erachtet werden
=> ein Zeichen für Selbstüberschätzung.
Strukturierte Interviews
zur Bias-Identifizierung
Exakte Gewichtungen sind in der Praxis nicht
errechenbar. Oft reicht es aus, wenn man die-
se qualitativ bewertet. Möglich ist das bei-
spielweise durch die Einsicht in die internen,
entscheidungsunterstützenden Unterlagen
(z. B. Business Case, Investment Application),
die zum damaligen Entscheidungszeitpunkt als
Grundlage für die Bewertung der Risiken, Kos-
Kundenabrechnung, IT-Applikationen wollte die
Zentrale von UnitedPower auch übernehmen.
Erwartungen des Managements hinsichtlich
zukünftiger Entwicklungen der übernommenen
Gesellschaft können anhand folgender Formel
dargestellt werden:
E (KPI) = w
1
· V + w
2
· L + w
3
· W
Bedeutung:
E (KPI) = Erwartungen hinsichtlich der
Entwicklung der KPIs (Umsatz, Überschuss)
V = vergangene Erfahrungen
L = Lernprozesse aus den vergangenen
Soll-Ist-Abweichungen
W = Einbeziehung neuer Informationen /
Sachverhalte
w
1, 2, 3
= Gewichte von 0 bis 1
(die Summe der Gewichte = 1).
In einem stabilen Umfeld können Erwartungen
anhand der Trendfortschreibung oder der Ex-
trapolation ähnlicher Ereignisse gebildet wer-
den. Dabei wirken sich Bias auf bereits geform-
te Erwartungen kaum aus. In unsicheren Situa-
tionen wie in unserem Fall kann die Rolle ein-
zelner Bias wesentlich an Bedeutung gewinnen.
Aus dem Zusammenspiel der unterschiedlichen
Gewichtungen können mögliche Einflüsse von
Bias beleuchtet werden:
·
Hohe w
1
:
Bei der Einschätzung zukünftiger
Entwicklungen stützt man sich zu sehr auf
vergangene Erfahrungen => ein Zeichen für
Verfügbarkeitsheuristik
Wie können Controller das Management unterstützen?
Autoren
Dr. Elena Aminova
ist Geschäftsführerin von Orange 'n' square UG, Berlin.
E-Mail:
Dr. Denis Kotov
ist Leiter Beteiligungscontrolling bei GAZPROMGermania
GmbH, Berlin.
E-Mail:
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