Controller Magazin 6/2016 - page 67

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Die Geld-Illusion
Zum Ende des Sommers fahre ich gerne nach
Antibes an der wunderbaren Cotê d‘Azur. Im
vergangenen Jahr ist mir dort etwas Unange-
nehmes passiert: In einem kleinen Lebensmit-
telladen wollte ich wie schon seit vielen Jahren
mit meiner EC-Karte bezahlen. Der Kartenauto-
mat akzeptierte sie nicht. Also versuchte ich es
mit meiner Master Card; Fehlanzeige. Auch
zwei weitere Karten konnten sich nicht behaup-
ten. Das fühlte sich nicht gut an. An Bargeld
hatte ich nur wenige Euro bei mir. Die Schlange
hinter mir wurde länger und länger. Zum Glück
gab es 5 Minuten entfernt einen Geldautoma-
ten, der meine EC-Karte bediente.
Und als ich zurückkam, hatte sich auch schon
beim Händler alles geklärt: Das Internet war
ausgefallen. So konnte ich nun wählen, ob ich
bar oder mit Karte bezahlen wollte. Meine
Glaubwürdigkeit war wiederhergestellt. Was
wäre gewesen, wenn sich meine Behauptung,
Geld zu „haben“, nicht hätte behaupten kön-
nen? Auch das ist mir schon passiert. Weil mei-
ne Bank aufgrund eines internen Fehlers meine
Konten gesperrt hatte. Da stand ich dumm da
und musste mir von Freunden Geld borgen. Bis
der Fehler beseitigt war. Seitdem nutze ich
mehrere Banken parallel.
Solche oder ähnliche Geschichten haben viele
Menschen schon erlebt. In diesen Momenten
zeigt sich praktisch, dass es nicht genügt,
„Geld zu haben“. Mir wurde durch diese Erleb-
nisse wieder einmal bewusst, dass
Geld und
Kaufkraft offensichtlich nicht dasselbe
sind. Geld kann man „besitzen“. Kaufkraft
erweist sich erst im realen Geschäft.
Das ist
eigentlich eine Binsenweisheit. Dennoch ver-
drängen wir sie im Alltag des Controllings.
Wir
„rechnen“ mit Geld, nicht mit Kaufkraft.
Aber warum ist der Unterschied für das Con-
trolling so wichtig? Geht es nur darum, ob wir
zum Termin bezahlen können? Natürlich ist das
ein wichtiger Punkt. Sobald Unternehmen Li-
quiditätsprobleme bekommen, werden sie
massiv mit dieser Frage konfrontiert. Und es
sollte zu den elementaren „Hausaufgaben“ je-
des Controllers gehören, sich vorausschauend
mit der verfügbaren Liquidität zu befassen.
Auch wenn das nicht überall zu den Selbstver-
ständlichkeiten gehört.
Im Kern geht es um etwas Anderes: Wir kau-
fen normalerweise nicht irgendein Produkt
oder irgendeine Leistung. Wir kaufen, weil wir
diese Produkte oder Leistungen für unsere Ak-
tivitäten brauchen.
Weil wir uns davon Er-
folg erwarten. Deshalb stellen sie für uns
ein Gut
1
dar.
Weil es für unser Geschäft gut
ist. Und weil wir auf andere Weise nicht an das
Gut gelangen.
Beispiel: Wenn wir auf einer Bergwanderung
Wasser aus einem Bach trinken, werden wir
nicht auf die Idee kommen, dafür Geld zu be-
zahlen. Auf der Berghütte angekommen, zahlen
wir für ein kühles Radler, weil es uns ohne Geld
nicht zur Verfügung steht. Und wir sind sogar
PreisGeld – mehr als eine Recheneinheit
von Walter Schmidt
CM November / Dezember 2016
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