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gesucht, sondern es wird gefragt, was daraus
gelernt werden kann. In Krisensituationen wird
besonders intensiv gelernt. Krisen sind Chan-
cen, Gewohnheiten zu verändern, denn sie er-
höhen die Bereitschaft, Neues auszuprobieren.
Die Hoffnung, dass man etwas verändern kann,
muss allerdings größer sein als die Angst vor
dem Scheitern.
Bausteine zum Experimentieren sind beispiels-
weise:
·
Pilotprojekte initiieren; sie eignen sich
besonders gut, weil sie die Rückkehr zum
alten Zustand offenlassen und damit die
Sicherheit nicht beeinträchtigen
·
ein lernorientiertes Umfeld schaffen
(z. B. innovationsfördernde Räumlichkeiten;
Rückzugsorte usw.)
·
Dialogplattformen für den Ideenaustausch,
interne Netzwerke (z. B. Communities of
Practice bei Siemens)
·
heterogene Teamzusammensetzung
·
Möglichkeit für Mitarbeitende, sich auf
Projekte zu bewerben
·
frei verfügbares Zeitbudget mit der Auffor-
derung, etwas daraus zu machen (Beispiel
Google)
·
Open Space, Grossgruppenveranstaltungen
·
eine Kultur entwickeln, in der Fehler und
produktives Scheitern erlaubt sind.
Handeln allein genügt nicht,
wenn es nicht reflektiert wird
In vielen Unternehmen nimmt man sich nicht
die Zeit zur Reflexion. Projekte und Prozesse
werden selten systematisch reflektiert.
Im Gegensatz zum Tier kann der Mensch sein
eigenes Verhalten beobachten, seine Handlun-
gen reflektieren, über seine Beweggründe
nachdenken und sie bis zu einem gewissen
Grad auch steuern. Erfahrungen allein machen
die Menschen nicht klüger, sondern erst ihre
Reflexion. Jeder Prozess bedarf, wenn gelernt
werden soll, der Reflexion. Wenn es gelingt, ge-
legentlich inne zu halten und das eigene Han-
deln zu hinterfragen, können Routinen durch-
brochen werden. Sich der eigenen Motive und
Antriebe bewusst zu werden heißt, nach geta-
ner Arbeit Distanz schaffen, um besser sehen
zu können.
Gelernt wird besonders gut, wenn das Gehirn
vielfältig stimuliert und das Neue oft wiederholt
wird. Menschen sind auf das Erreichen positi-
ver Emotionen ausgerichtet. Besonders emp-
fänglich sind sie für Informationen, die kurz zu-
rückliegen, lebendig und bildhaft sind. Dann
passt sich das Netzwerk besonders effektiv an
die neuen Informationen an.
Experimente ermöglichen neue
Erkenntnisse
Samuel Beckett formuliert prägnant: „Versuch
und Irrtum; neuer Versuch und kleinerer Irrtum;
schliesslich Versuch ohne Irrtum, das ist das
ideale Lernmodell.“ Scheitern ist Lernen. Wer
gelernt hat, scheitert möglicherweise wieder,
aber das nächste Mal eben besser, informier-
ter, kompetenter. Wie in der wissenschaftlichen
Forschung und der Technik werden neue Er-
kenntnisse auch in der Führung durch Experi-
mente und eine Vielzahl von Versuchen gewon-
nen, die reflektiert werden. Das lernende Un-
ternehmen schafft günstige Voraussetzungen
für den Lernprozess und eine Kultur, in der es
mehr zählt, Neues zu wagen, selbst wenn man
scheitert.
Das lernende Unternehmen er-
muntert dazu, zu experimentieren und
dann zu reflektieren. Wandlung geschieht
durch Handlung.
Nur wer sich etwas zutraut,
neue Ideen und Strategien ausprobiert und Er-
fahrungen zulässt, gewinnt neue Impulse. Ex-
perimente brauchen Mut und so etwas wie eine
Start-up-Mentalität. Einfach ausprobieren,
statt lange planen, ist oftmals der zielführende-
re Ansatz.
Im lernenden Unternehmen werden dezentrale
Initiativen provoziert und im Erfolgsfall in unter-
nehmensweite Programme übergeführt. Es ist
gestattet, Fehler zu machen, solange man dar-
aus lernt. Bei Fehlern werden nicht Schuldige
Untersuchungen zeigen, dass die Zufriedenheit
der Mitarbeitenden in dem Maße wächst, in
dem sie das Bewusstsein haben, frei mit den
Vorgesetzten diskutieren zu können. Sinnant-
worten können wahrscheinlich nur im Ge-
spräch vermittelt und durch offene Kommuni-
kation unterstützt werden. Um effizient Wissen
vermitteln zu können, muss zunächst eine Be-
ziehung aufgebaut werden, und der Sinn des
Lernens muss klargemacht werden können.
Die Mitarbeitenden lernfähig zu halten, und sie
zu ermuntern, primär die Chancen und nicht
die Bedrohungen des Neuen zu sehen, ist eine
der anspruchsvollsten Führungsaufgaben.
Dazu sollte man in einem Unternehmen dafür
sorgen, dass der Stellenwert des Lernens hoch
ist, Lernmöglichkeiten und Lernsituationen be-
wusst geschaffen werden und es entsprechen-
de Anreize und Lernangebote gibt.
Im lernenden Unternehmen sind Fehler
gestattet, weil sie eine Lernmöglichkeit
darstellen.
Fehlertoleranz heisst, dass Schei-
tern erlaubt ist. Ohne Fehlertoleranz darf auch
keine Initiative erwartet werden. Jedem sollte
eine 2. Chance zustehen. Die neuere Hirnfor-
schung hält das Gehirn für veränderbar (Neu-
roplastizität). Veränderung ist allerdings an-
strengend und beansprucht viel Energie.
Wir
lernen nur das, was uns intensiv interes-
siert und uns wichtig ist.
Man kann keinen
Menschen motivieren, sein kreatives Potenzial
zu entfalten, man kann ihn nur dazu einladen,
ermutigen sowie einen geeigneten Rahmen
schaffen. Das Hirn verändert sich, wenn man
es benutzt. Alle Verschaltungen im Hirn ent-
stehen nur, wenn sie immer wieder aktiviert
werden. Die Funktionen, die nicht gebraucht
werden, kommen einem abhanden. Das Ge-
hirn wird so, wie und wofür man es mit Begeis-
terung benutzt. Wer begeistert ist, verändert
sich schneller, deshalb müssen Sinn und
Zweck klar sein.
Autor
Dr. Jean-Marcel Kobi
ist selbstständiger Managementberater und lebt in Stäfa am
Zürichsee. Seine Schwerpunkte sind HR-Management, Perso-
nalrisiken sowie die Entwicklung und Implementierung von
Strategien und Unternehmenskulturen. Er hat als Autor immer
wieder neue Themen aufgefgriffen und innovative Ansätze ent-
wickelt. Beim Fachverlag Springer Gabler erschien von ihm das
Buch „Personalrisikomanagement“.
E-Mail:
CM November / Dezember 2016