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Prognoserelevanz
Im hier genannten Beispiel zur Kalkulation der
Vorteilhaftigkeit waren bereits alle
Kosten und
Leistungen bzw. alle Zahlungen vorgege-
ben. Aber deren Ermittlung ist die sicher
schwierigste Aufgabe bei der Konkretisie-
rung des jeweiligen Produktlebenszyklus.
Es stellt sich somit die Frage, ob das Pro-
duktlebenszykluskonzept bei der Abschätzung
der finanziellen Folgen unterstützen kann. Da-
mit ist zu klären, inwieweit bestimmte Gesetz-
mäßigkeiten beim Durchlaufen der verschie-
denen Phasen gelten. Dabei ist zu trennen zwi-
schen den Nettoumsätzen und den Gewinnen
der jeweiligen Periode. Denn auch wenn in Ab-
bildung 1 sehr ähnliche Steigungen einge-
zeichnet sind, so muss dies keinesfalls immer
zutreffen. Wie schnell sich die erwarteten Pha-
sen ändern können zeigt das Beispiel des elek-
trischen Opel Ampera. Auch mit einer kräftigen
Preissenkung wurde die Wachstumsphase
nicht geschafft, so dass inzwischen die Reiß-
leine gezogen wurde, ohne dass eine Sätti-
gungsphase erreicht wurde.
Ähnlich wie in diesem Beispiel können auch
für andere Produkte
praktisch nie sinnvolle
Voraussagen über die Entwicklung der
Kurven
gemacht werden. Schon in der Litera-
tur gibt es eine breite Auswahl an Spielformen
(vgl. z. B. Höft, S. 24 ff.). Die Praxis weicht
aber fast immer von diesen idealisierten Ver-
läufen ab (vgl. z. B. Homburg/Krohmer S. 438
ff. und Höft, S. 111). Die in Abbildung 1 ange-
nommenen Entwicklungen für Umsatz und
Gewinn je Phase haben somit kaum Bedeu-
tung. Das gilt insbesondere für den Gewinn.
Laut Literatur (z. B. Wöhe, S. 400) soll der Ge-
winn in der Wachstumsphase stark steigen. In
der Realität aber muss gerade in dieser Phase
häufig viel investiert werden, um das Produkt
in möglichst vielen Märkten und Absatzkanä-
len erfolgreich zu positionieren. Insofern kön-
nen in dieser Phase noch hohe Anfangsver-
luste anfallen.
Das Produktlebenszykluskonzept kann so-
mit nicht als präskriptives Modell einge-
setzt werden.
Der Grund liegt in einem Denk-
fehler bezüglich der Ursache-Wirkung-Bezie-
hungen. Im Modell hängt der Nettoumsatz
allein von der Zeit als unabhängiger Variablen
ab. Die Ursache für eine bestimmte Höhe des
Nettoumsatzes liegt aber sicher nicht darin,
dass eine bestimmte Periode erreicht wurde,
sondern darin, dass viele Unternehmensent-
scheidungen zu bestimmten Zeitpunkten auf
Marktentwicklungen gestoßen sind. Eine Pro-
duktentwicklung vor 2 Jahren hat z. B. dazu
geführt, dass dieses Jahr ein gutes Produkt
eingeführt werden konnte. Eine falsche Preis-
entscheidung am Anfang des Jahres hat dafür
gesorgt, dass das Produkt nach kurzer Zeit
wieder vom Markt verschwunden ist.
Selbst dieses Beispiel ist dramatisch verein-
facht, da
hinter jeder Produktentwicklung
Hunderte von Einzelentscheidungen
stehen,
die zu bestimmten Zeitpunkten getroffen wur-
den. Der Vermarktungserfolg hängt wiederum
von unzähligen anderen Faktoren ab: Das Er-
gebnis aus diesen zahllosen Einflussfaktoren ist
die Absatzmenge und der erzielte Nettopreis in
einer Periode. Schon die Wirkung eines einzel-
nen Instrumentes (z. B. des Preises) in einer be-
stimmten Periode zu identifizieren, ist nur mit
radikaler Vereinfachung möglich. Die Ausprä-
gungen aber an den Zeitablauf knüpfen zu
wollen, erscheint völlig unmöglich.
Autor
Prof. Dr. Peter Hoberg
lehrt als Professor für Betriebswirtschaftslehre an der Fach-
hochschule Worms. Auf Basis einer 15-jährigen Erfahrung in in-
ternationalen Unternehmen beschäftigt er sich insb. mit Themen
des Controllings und der Investitionsrechnung. Schwerpunkt
seines Interesses ist die Verbindung von Theorie und Praxis.
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Abb. 5: Mögliche kumulierte Verläufe von Produktlebenszyklen
Produktsterbezyklus