personalmagazin 07/2015 - page 19

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Nachdem nun schon seit Jahren von „In-
dustrie 4.0“ gesprochen wird, musste es
eigentlich verwundern, dass „Arbeit 4.0“
überhaupt nicht diskutiert wurde – bis vor
ein paar Monaten. Seitdem ist das Thema
aber gewaltig im Kommen: DGFP-Kongress,
das Bundesarbeitsministerium (BMAS) mit
einem Grünbuch, und nächstes Jahr gar der
Deutsche Juristentag (DJT). Die Reihenfolge
ist dabei durchaus nicht zufällig: Die Praxis
zeigt das Thema auf, die Politik nimmt sich
dessen an, bevor sich dann die Theoretiker
zu Wort melden. Nicht von ungefähr ruft
das BMAS auch zum Dialog auf. Allerdings:
Vielleicht ist schon das Weißbuch fertig,
bevor der DJT tagt.
Arbeit 4.0: Praxisbezug statt Dogmatik
Gerade beim DJT ist sehr zu hoffen, dass
ein pragmatischer und nicht dogmatischer
Gutachter mit viel Praxisbezug gewählt wird.
Denn schon der Titel schreckt auf: „Digitali-
sierung der Arbeitswelt – Herausforderungen
und Regelungsbedarf“. Ich bin der festen
Überzeugung: Nicht Regelungsbedarf, son-
dern Deregulierungsbedarf wäre das richtige
Wort. Denn in Zukunft werden wir einen
Angebotsmarkt haben. Die Beschäftigten
werden selbstbewusst einfordern, was sie,
wann sie und wie viel sie arbeiten. Indus-
trie 4.0 ist das Vehikel, das ihnen dies er-
möglicht. Denn das Phänomen, dass Arbeit
und Freizeit ineinander verschmelzen, wird
durch neue Techniken möglich gemacht.
Beispiel Arbeitszeit: Deregulierung tut Not
Dass ein Grünbuch nicht genügt, sondern
das Arbeitsrecht auch über Deregulierung
angepasst werden muss, haben wir vom
Bundesverband der Arbeitsrechtler in Unter-
nehmen (BVAU) bereits gefordert. Nehmen
wir das Beispiel der Arbeitszeit. Der neuen
Generation wird „Work-Life-Balance“ so
wichtig sein, dass die Dauer und Lage der
Arbeitszeit selbst bestimmt wird.
Das hat einen Haken: Das starre Arbeits-
zeitgesetz passt da nicht mehr. Denn sich
selbstbestimmt einen Tag oder eine Woche
einzurichten, den Ablauf von Wetter, Freun-
den, Kindern abhängig zu gestalten – das
kollidiert mit einer elfstündigen Ruhezeit
oder einem Sonntagsarbeitsverbot. Mehr
noch: Man braucht keine seherischen Fähig-
keiten zu haben, um zu erahnen, dass diese
Generation den Arbeitgebern die Arbeitszei-
ten vorgeben wird. Wir brauchen also nicht
Deregulierungsbedarf ohne Ende?
KOMMENTAR
Viel wird derzeit unter dem Schlagwort „Arbeiten 4.0“ über die Arbeitswelt von morgen
diskutiert. Dabei stehen selten rechtliche Fragen an erster Stelle. Alexander R. Zumkeller
bringt daher wichtige Hinweise aus der Arbeitsrechtspraxis in die Debatte ein.
mehr Regelungen, sondern Gesetze, die
ein Zugehen auf diese Generation erlaubt –
Deregulierung.
Klare Regeln auch bei der Mitbestimmung
Zur Thematik „Deregulierung“ passt auch
§ 87 Abs. 1 Nr. 6 Betriebsverfassungsge-
setz. Danach hat der Betriebsrat bei der
Einführung und Anwendung von techni-
schen Einrichtungen mitzubestimmen, die
dazu bestimmt sind, das Verhalten oder die
Leistung der Arbeitnehmer zu überwachen.
Wenn dieser Mitbestimmungstatbestand
jedoch ernst genommen wird, dann ist das
ganze Leben und jedes kleine Helferlein
mitbestimmt: elektronischer Schlüssel,
PC, das Klimagerät im Büro, Smartphone,
Navigationsgeräte und welche „Gadgets“
uns noch alle das Leben und Arbeiten
erleichtern werden. Dann wäre ein klares
datenschutzrechtliches Verbot der Auswer-
tung mit Erlaubnisvorbehalt durch eine
Betriebsvereinbarung oder ein Einverständ-
nis besser. Das würde Unternehmen in
Deutschland nicht von der Einführung wich-
tiger elektronischer Hilfsmittel abhalten und
sie nur bei der Absicht der Leistungs- oder
Verhaltenskontrolle deutlich einschränken.
ALEXANDER R.
ZUMKELLER
ist
Präsident des Bundes-
verbands der Arbeits-
rechtler in Unterneh-
men (BVAU).
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