PERSONALquarterly 03/15
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STATE OF THE ART
_FÜHRUNG
V
iele Mitarbeiter in deutschen und internationalen
Unternehmen sehen sich mit aggressivem, feind-
seligem oder herabsetzendem Führungsverhalten
konfrontiert. Trotz teilweise unterschiedlicher Ein-
schätzungen stimmen die meisten Studien darin überein, dass
weit über 10 % der Arbeitnehmer regelmäßig solch destruktiver
Führung ausgesetzt sind – wobei die Vermutung einer bedeu-
tend höheren Dunkelziffer naheliegt (Einarsen et al., 2010). Es
ist damit wenig überraschend, dass destruktive Führung durch
unmittelbare Vorgesetzte oft als „Kündigungsgrund Nummer
eins“ gilt (Klaußner, 2012, S. 5).
Vor diesem Hintergrund stellt negatives, destruktives Füh-
rungsverhalten das Personalmanagement vor große Herausfor-
derungen. Trotzdem vernachlässigten Personalforschung und
-praxis lange die „dunkle Seite“ der Führung. Erst in den letzten
Jahren wandten sich Führungsforscher verstärkt diesem The-
ma zu, sodass eine solide Wissensbasis entstehen konnte. Der
vorliegende Artikel möchte diesen Forschungsstand aufgreifen
und auf Grundlage gesicherter empirischer Erkenntnisse drei
Fragen beantworten, die für den Umgang mit destruktiver Füh-
rung entscheidend sind: Welche Faktoren prägen die Entste-
hung destruktiven Führungsverhaltens? Welche Konsequenzen
hat destruktive Führung? Welche Handlungsempfehlungen für
das Personalmanagement lassen sich daraus ableiten?
Destruktive Führung als feindselig-aggressives Verhalten
Destruktive Führung ist ein komplexes und vielschichtiges
Phänomen. Die vorliegende Untersuchung konzentriert sich in
dieser Hinsicht auf aggressive, feindselige und respektlose Ver-
haltensweisen von Führungskräften gegenüber ihren direkten
Untergebenen. Dazu gehören Wutausbrüche, Beschimpfungen
und öffentliche Herabsetzungen ebenso wie der Missbrauch
von Mitarbeitern als Sündenböcke für eigene Fehler. Die Füh-
rungsforschung nutzt eine Vielzahl verwandter Begriffe zur
Kennzeichnung solch destruktiven Führungsverhaltens (z.B.
tyrannische, despotische, aggressive oder entgleiste Führung),
wobei die Bezeichnung „abusive supervision“ besonderen An-
klang gefunden hat. Der vorliegende Artikel verzichtet auf eine
weitere Ausdifferenzierung dieser Begrifflichkeiten (siehe da-
zu Tepper, 2007). Es wird vielmehr versucht, ein umfassendes
Bild des aktuellen Forschungsstandes zu destruktiver Führung
aufzuzeigen. Ausgeklammert bleiben dabei physische Gewalt-
anwendung ebenso wie negative oder unethische Führung, die
nicht durch feindseliges Verhalten gegenüber den Mitarbeitern
gekennzeichnet ist (Einarsen et al., 2010).
Ursachen destruktiver Führung: Das toxische Dreieck
Vorliegende Ansätze zur Erklärung destruktiver Führung be-
wegen sich meist im Rahmen eines „toxischen Dreiecks“, wie
es in Abb. 1 dargestellt ist (Padilla et al., 2007). Dabei spielen
Eigenschaften der Führungsperson selbst eine wichtige Rolle,
wobei sich die empirische Forschung vor allemmit stabilen Per-
sönlichkeitsmerkmalen beschäftigt hat (Wang et al., 2010). In
dieser Hinsicht sind zunächst Persönlichkeitsfaktoren von Be-
deutung, die auf eine mangelnde Integrität der Führungskraft
hindeuten. So zeigen empirische Studien zum Beispiel, dass
destruktive Führung eher bei Führungskräften mit niedriger
Gewissenhaftigkeit auftritt, die zu undiszipliniertem und nach-
lässigemVerhalten neigen (Mawritz et al., 2014a). Zum anderen
Feindselig-aggressive Führung schadet den Mitarbeitern und dem Unternehmen.
Entschiedene Gegenmaßnahmen des Personalmanagements sind daher angebracht
Von
Prof. Dr. Frank Walter
(Justus-Liebig-Universität Gießen)
Ursachen und Folgen destruktiver Führung
Abb. 1:
Das toxische Dreieck: Ansätze zur Erklärung
destruktiver Führung
Quelle: Reduzierte Darstellung auf Basis von Padilla et al. (2007): 180
Destruktive
Führende
Empfängliche
Geführte
Begünstigende
Umwelten