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2004). So konnte in zahlreichen Studien nachgewiesen wer-
den, dass zwischen der Ausprägung von Gratifikationskrisen
einerseits und dem Auftreten von Herzkrankheiten, Burnout-
Symptomen u. v. m. messbare und relevante Zusammenhänge
existieren. Darüber hinaus ermöglicht das Modell die „Iden-
tifizierung besonders gefährdeter Personengruppen und die
gezielte und differenzierte Anwendung von Interventions-
maßnahmen zur Personal- und Organisationsentwicklung bei
diesen Gruppen“ (Peter 2002, S. 397). Die Anwendung dieses
Modells bezieht sich bislang weitgehend auf den Bereich des
Gesundheitsmanagements, obwohl die vergleichsweise ein-
fache Handhabung und die praxisnahe Ausgestaltung der Fra-
gen auch andere Anwendungsbereiche (bspw. im Kontext der
Mitarbeiterbindung) möglich erscheinen lassen.
Hinzu kommt, dass sich die im Gratifikationskrisenmodell
abgefragten Belohnungen zwar auf den Arbeitskontext bezie-
hen, aber gleichzeitig auch Relevanz für das Privatleben haben.
Besonders deutlich wird dies bei den Aspekten der „angemes-
senen Vergütung“ oder der „gefährdeten Übernahme“, die die
Handlungsspielräume und die Chancen der Selbstverwirkli-
chung im Privatleben deutlich beeinflussen dürften.
Der vorliegende Beitrag stützt sich auf eine Kurzversion des
Fragebogeninventars zur Ermittlung von Gratifikationskrisen,
welche auf die Situation von Auszubildenden angepasst wurde.
Befragung von Nachwuchskräften in Industrie und Handel
Im Schuljahr 2012/2013 wurden im Rahmen dieser Studie Be-
rufsschüler in Baden-Württemberg befragt, die in diesem Jahr
ihre Ausbildung begonnen hatten. An der Untersuchung beteilig-
ten sich 664 kaufmännische Auszubildende, davon 412 aus dem
Handel, und 252 aus der Industrie. Die Rücklaufquote betrug
aufgrund der klassenweisen Erhebung mehr als 90 Prozent.
Einschränkend ist festzustellen, dass es sich bei dieser
Studie lediglich um die Erhebung der subjektiven Wahrneh-
mung der Auszubildenden im Hinblick auf ihre erlebte Aus-
bildungsrealität und die hiermit verbundenen Eindrücke und
Bewertungen handelt. Rückschlüsse auf objektiv gegebene
Rahmenbedingungen sind daher nur eingeschränkt möglich.
Da es aber letztlich entscheidend ist, ob und wie die ggf. vor-
handenen Strukturen und Maßnahmen tatsächlich von den
Betroffenen erlebt und wahrgenommen werden, kommt dieser
Erhebungsmethode gleichwohl eine entsprechende Relevanz
zu (vgl. hierzu auch Mohe, Dorniok, Kaiser 2010, S. 119).
Im Folgenden werden die Ergebnisse skizziert, wobei zu-
nächst die Globalurteile der Jugendlichen zur empfundenen
Work-Life-Balance sowie zum Stressempfinden beleuchtet
werden (vgl. hierzu auch Süß, Weiß 2014, S. 36f.), wobei das
Stressempfinden explizit auf die verschiedenen Lernorte (Be-
rufsschule und Ausbildungsbetrieb) bezogen wurde. Die Erhe-
bung derartiger Globalurteile ist ökonomisch und entspricht
auch der „Forderung nach höchstmöglicher Allgemeinheit“.
Darüber hinaus entfällt aufgrund der subjektiven Erfassung
„das mit dem objektiven Messen verbundene Problem der nor-
mativen Setzung von Grenzwerten“ (Syrek, Bauer-Emmel, An-
toni, Klusemann 2011, S. 136). Ebenso wird auch das Ausmaß
individueller Gratifikationskrisen ermittelt, und hierauf auf-
bauend werden die Zusammenhänge zwischen diesen differen-
ziert ermittelten Werten und den Globalurteilen offengelegt,
um somit auch einen Beitrag zur Validierung der Fragebogen-
items zur Work-Life-Balance zu leisten.
Work-Life-Balance und Stressempfinden
Die Jugendlichen wurden zunächst danach gefragt, ob sie
„genügend Zeit für Familie, Freundschaften und private In-
teressen“ haben und ob sie das Verhältnis zwischen Berufs-
ausbildung und Privatleben als „ausgewogen“ empfinden.
Die angehenden Industriekaufleute bewerteten diese Aspekte
jeweils positiver als die Auszubildenden des Einzelhandels.
Besonders deutlich fallen die Angaben zum verbleibenden
Zeitbudget für private Aspekte aus: Nahezu zwei Drittel bewer-
ten dies positiv, während lediglich ein Zehntel dies kritisch be-
wertet und nach eigener Wahrnehmung „zu selten“ oder sogar
„nie“ Zeit für Privates hat. Bei den Auszubildenden im Handel
halten sich kritische und positive Einschätzungen halbwegs
die Waage.
Aufgrund der Dualität der Ausbildung ist es erforderlich, zwi-
schen den Lernorten Betrieb und Berufsschule zu unterschei-
den. Vor diesem Hintergrund wurden die Jugendlichen auch
gefragt, ob und wie sehr sie den betrieblichen bzw. schulischen
Teil der dualen Berufsausbildung als stressig empfinden. Die
Branchenunterschiede fallen hier schwächer aus, es wurde
aber deutlich, dass insbesondere die Situation im Betrieb als
stressig empfunden wird. Dies betrifft vor allem die Auszubil-
denden im Handel, drei von vier Jugendlichen (76%) verweisen
auf „sehr hohen“ bzw. „eher hohen“ Stress im Ausbildungs-
betrieb. Bei den angehenden Industriekaufleuten fällt dieser
Wert geringer aus (63%), stattdessen berichten diese im schu-
lischen Kontext vergleichsweise häufig von Leistungsdruck
und Stress (56% vs. 48%). Während die angehenden Industrie-
kaufleute Stress und Leistungsdruck an den verschiedenen
Lernorten vergleichsweise ähnlich beurteilen, zeigen sich bei
den Auszubildenden im Handel deutliche Differenzen (nahe-
zu 30 Prozentpunkte). Die betrieblichen Ausbildungsphasen
scheinen hier besonders häufig mit Stress verbunden zu sein,
was aufgrund der bekannten Arbeits- und Ausbildungsbedin-
gungen in dieser Branche durchaus nachvollziehbar erscheint.
Interessanterweise korrelieren die Antworten zur Work-Life-
Balance und zum Stressempfinden nur sehr schwach. Lediglich
für die Antworten auf die Fragebogenitems „genügend Zeit für
Familie, Freundschaften und private Interessen“ und „Stress
im Ausbildungsbetrieb“ liegt ein hochsignifikanter negativer
Zusammenhang (rs=-,31) vor.