PERSONALquarterly 3/2015 - page 51

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n der klinischen Psychologie wird Narzissmus als Per-
sönlichkeitsstörung verstanden, gekennzeichnet durch
extreme Selbstverherrlichung, Anspruchshaltung, ein
starkes Bedürfnis nach Bewunderung, Mangel an Em-
pathie und die Neigung, andere zu manipulieren. Leichtere
Ausprägungen von Narzissmus können aber durchaus förder-
lich sein. Bspw. sind Personen mit narzisstischen Tendenzen
oft sehr charismatisch. Tatsächlich zeigt die Forschung, dass
Personen mit narzisstischen Neigungen häufig Führungspo-
sitionen innehaben. Bislang ist aber unklar, woher dieser Zu-
sammenhang rührt. Grijalva und Kollegen gehen dieser Frage
in einer Metanalyse über 54 veröffentlichte Studien nach. Die
Narzisstische Führungs­
kräfte: Fluch oder Segen?
Emily Grijalva
(University of Illinois),
Peter D. Harms
(University
of Nebraska at Lincoln),
Daniel A. Newman
(University of Illinois),
Blaine H. Gaddis
(Hogan Assessment Systems) and ​
R. Chris Fraley
(University of Illinois): „Narcissism and leadership:
A meta-analytic review of linear and nonlinear relationships“.
Personnel Psychology, 68 (2015), 1-47.
Autoren finden zunächst keinen Zusammenhang zwischen
Narzissmus und objektivem Führungserfolg, sondern nur zwi-
schen Narzissmus und selbst eingeschätztem Führungserfolg.
Allerdings gelangen narzisstische Personen tatsächlich häu-
figer in Führungspositionen, da ihre Neigung die Beförderung
in Führungspositionen begünstigt. In einer weiteren Meta​ana-
lyse finden die Autoren schließlich Hinweise auf ein optimales
Mittelmaß an Narzissmus: Führungskräfte mit einer mittleren
(imVergleich zu niedrigen oder hohen) narzisstischen Neigung
waren erfolgreicher.
Die Ergebnisse liefern Anregungen für die Personalauswahl.
Personen mit hoher Narzissmusneigung werden häufiger für
Führungspositionen ausgewählt, obwohl ausgeprägter Narziss-
mus mit geringerem Führungserfolg einhergeht. In der Perso-
nalauswahl sollte deshalb auf Verfahren wie unstrukturierte
Interviews verzichtet werden, in denen narzisstische Bewerber
durch ihr charismatisches Auftreten begünstigt werden. Um
die möglichen Vorteile von Narzissmus dennoch zu nutzen,
sollten beim Einsatz von Persönlichkeitstests Bewerber mit
mittlerer Narzissmusneigung gegenüber solchen mit sehr
niedriger oder sehr hoher vorgezogen werden.
Besprochen von
Dr. Nale Lehmann-Willenbrock,
VU Amster-
dam, Department of Social & Organizational Psychology
S
ozialpsychologische Studien haben gezeigt, dass hie-
rarchische Strukturen in Gruppen sowohl funktionale
als auch dysfunktionale Auswirkungen auf das Verhal-
ten der Gruppenmitglieder haben können. Einerseits
sorgen hierarchische Strukturen für eine klare Verteilung von
Rollen und Verantwortlichkeiten, erleichtern so die Koordina-
tion der Aktivitäten und beugen Konflikten vor. Andererseits
führen sie für Gruppenmitglieder mit niedrigem Rang zu einer
höheren Hemmschwelle, Informationen weiterzugeben sowie
Meinungen und Bedenken zu äußern, um die Autorität höher-
rangiger Gruppenmitglieder nicht in Frage zu stellen. Hierar-
chische Strukturen innerhalb von Gruppen können demnach
Hierarchie in Gruppen: Ein
zweischneidiges Schwert
Eric M. Anicich
(Columbia Business School),
Roderick I. Swaab
(INSEAD) and
Adam D. Galinsky
(Columbia Business School): „Hie-
rarchical cultural values predict success and mortality in high-stakes
teams“. Proceedings of the National Academy of Sciences of the
United States of America, Vol. 112, No. 5, pp. 1338–1343.
sowohl die Wahrscheinlichkeit eines Erfolgs der Gruppe als
auch die Wahrscheinlichkeit eines Misserfolgs (durch Nichtbe-
achtung von Risiken bei der Entscheidungsfindung) erhöhen.
Neben formalen hierarchischen Strukturen innerhalb von
Gruppen (Weisungsbefugnis etc.) sind kulturell bedingte hie-
rarchische Strukturen nicht weniger bedeutsam, wie Anicich,
Swaab und Galinsky zeigen. Die Autoren untersuchten auf Ba-
sis von Archivdaten zu über 5.000 Expeditionen im Himalaya,
ob kulturelle Unterschiede in der Bedeutung und Akzeptanz
hierarchischer Strukturen zu funktionalen oder dysfunkti-
onalen Gruppenprozessen führen. Die bisherige Forschung
hat gezeigt, dass insbesondere unter hoher Unsicherheit auf
Erfahrungen und kulturelle Annahmen zurückgegriffen wird
und die Auswirkungen hierarchischer Strukturen in Gruppen
insbesondere bei hoher Abhängigkeit der Gruppenmitglieder
untereinander stark ausgeprägt sind. Insofern bieten derlei
Expeditionen ein ideales Setting, um die Effekte kultureller
Unterschiede auf Gruppenprozesse zu untersuchen: Die for-
malen hierarchischen Strukturen sind weitestgehend fest-
stehend; die „stakes“ sind hoch, Gipfelerfolg und Tod liegen
dicht beieinander; Entscheidungen sind in einem hohen Maße
durch Unsicherheit geprägt (Orientierung, Wetter, Routenwahl
etc.); Expeditionsmitglieder sind stark voneinander abhängig.
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