03/15 PERSONALquarterly
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Karriere noch lange nicht als beantwortet an, da es trotz der
generellen positiven Wirkung von physischer Attraktivität
viele Differenzierungen zu beachten gibt. Agthe habilitierte
über „Voreingenommenheiten und beeinflussende Faktoren
in sozialen Bewertungs- und Interaktionsprozessen“. Belege,
dass physische Attraktivität vorteilhaft wirkt, fand sie wie viele
weitere Forscher unterschiedlicher Fachrichtungen der Sozial-
wissenschaften, der Psychologie und der Ökonomie in Studien
über Auswahlentscheidungen, Gehälter, Beförderungen und
im geschätzten Karrierepotenzial.
Es zeigte sich, dass die Vorteile bei gegengeschlechtlichen
Begegnungen zumeist signifikant größer waren als bei gleich-
geschlechtlichen Konstellationen. „Das mag an Rivalitätseffek-
ten liegen“, meint die Forscherin. „Vergleichsweise negative
Reaktionen auf eine hochattraktive Person erfolgten in un-
seren Studien vor allem dann, wenn die gleichgeschlechtliche
beurteilende Person selbst nur wenig oder mittelmäßig attrak-
tiv war oder einen niedrigeren oder mittleren Selbstwert hatte,
da dann ihr Selbstwert eher bedroht ist, was kompensatorisch
zu Abwertungsprozessen bezüglich der hochattraktiven Ver-
gleichsperson führen kann.“
Wirksamkeit von Attraktivitätsstereotypen senken
Maria Agthe geht aktuell Voreingenommenheitsmustern auf
den Grund. Diese können Personalpraktikern entscheidende
Hinweise geben, wie sie in Auswahlverfahren die Wirksam-
keit von Attraktivitätsstereotypen beeinflussen können. „Eine
wichtige Rolle spielt hierbei auch die Motivation, vorurteilsfrei
zu handeln. Voraussetzung dafür ist allerdings, dass es einem
überhaupt bewusst ist, dass man durch ein Vorurteil beein-
flusst wird“, sagt Professorin Agthe. Wer möchte, kann, so
die Sozialpsychologin, einige bereits breit diskutierte Ansätze
nutzen, um die eigene Voreingenommenheit und die der Mit-
entscheider zu minimieren. Im Recruiting bietet sich im ersten
V. l. n. r.: Prof. Dr. Maria Agthe (Ludwig-Maximilians-Universität München), Prof. Dr. Benny Geys (Norwegian Business School,
Oslo), Prof. Dr. Daniel S. Hamermesh (University of Texas, Austin)
Schritt die in den USA längst gängige anonyme Bewerbung
an, die nicht nur älteren Personen, Frauen oder Menschen
mit Migrationshintergrund und fremden Namen, sondern auch
denen, die dem aktuellen Schönheitsideal nicht nahekommen,
helfen kann – wenn auch nur in der schriftlichen Bewerbung
und bis zum Kandidatengespräch. Ein zweiter Schritt wäre die
heterogene Besetzung von Auswahlgremien – etwa durch Per-
sonen in verschiedenem Alter, unterschiedlichen Geschlechts
und unterschiedlicher ethnischer Herkunft.
Des Weiteren empfiehlt es sich, die Verantwortung für die
Personalentscheidung klar zu definieren. Denn wenn eine Per-
son bereits vor ihrer Entscheidung weiß, dass sie für diese ver-
antwortlich ist und dass sie ihre Entscheidung anschließend
rechtfertigen muss, bewirkt dies, dass die Person motivierter
ist, sich mit der Entscheidung genauer zu befassen. Hierdurch
kommt es zu einemWechsel vom unbewussten Entscheidungs-
system, das einfach und schnell funktioniert, zum bewussten
Entscheidungsprozess, der komplexer und kontrollierter, aber
auch zeitintensiver ist. Die Übernahme von Verantwortung
kann eine Auseinandersetzung mit der eigenen Voreingenom-
menheit bewirken. Schließlich muss der Entscheider später
argumentativ überzeugen – das Team, den Vorgesetzten oder
den Personalverantwortlichen. Hierdurch besteht die Chan-
ce, dass statt globaler Äußerungen konkrete Begründungen
vorgebracht werden, wie das Potenzial des Kandidaten einzu-
schätzen ist.
Der Grad an Reflexion wird außerdem erhöht, wenn das Ur-
teil für den Bewertenden selbst wichtig ist, etwa weil er in
Zukunft eng mit der Person zusammenarbeiten muss. Profes-
sorin Agthe betont: „Einschätzungen von Personen werden
auch dann systematischer und akkurater, wenn sie jemanden
länger kennen.“ Probearbeit und Praktikum könnten also Aus-
wahlinstrumente sein, die weniger anfällig für Voreingenom-
menheit sind.
© DAVID AUSSERHOFER