PERSONALquarterly 3/2015 - page 50

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ESSENTIALS
_REZENSIONEN
PERSONALquarterly 03/15
D
er Trend zum individualisierten Personalmanage-
ment eröffnet die Chance, den arbeitsbezogenen
Bedürfnissen und Vorstellungen verschiedener
Arbeitnehmergruppen gleichermaßen zu entspre-
chen. Studien zu individuellen Vereinbarungen, die proak-
tiv durch Arbeitnehmer angestoßen wurden („idiosyncratic
deals“), konnten positive Effekte auf Motivation, Commitment
und Leistung feststellen. In der Forschung blieb bislang al-
lerdings die Frage offen, ob und inwiefern sich formalisiertes
individualisiertes Personalmanagement auf die Organisation
als Ganzes auswirkt.
Bal und Dorenbosch untersuchten daher auf Basis einer
Stichprobe von 4.600 niederländischen Organisationen die
Auswirkungen individualisierter Personalmanagementprak-
tiken in den Bereichen Personalentwicklung, Arbeitszeit und
Vergütung auf Indikatoren organisationaler Leistung. Hier-
bei betrachteten sie, in welchem Umfang individualisierte
Personalmanagementpraktiken offiziell verfügbar sind und
in welchem Umfang diese Möglichkeiten tatsächlich genutzt
werden. Da sich die arbeitsbezogenen Präferenzen im Laufe
des Lebenszyklus von zukunftsorientierten Zielen (Lernen,
Wachstum) zu gegenwartsorientierten Zielen (emotionales
Wohlbefinden) verändern, gingen die Autoren davon aus,
dass individualisierte Personalentwicklungsmaßnahmen
und Vergütungspraktiken insbesondere bei jüngeren Beleg-
schaften positive Auswirkungen zeitigen, individualisierte
Arbeitszeitregelungen sich hingegen insbesondere bei äl-
teren Belegschaften positiv auswirken.
Die Ergebnisse zeigen, dass das Ausmaß, in welchem indivi-
dualisierte Personalentwicklungsmaßnahmen zur Verfügung
stehen und tatsächlich genutzt werden, positiv mit dem Leis-
tungszuwachs hinsichtlich Arbeitsproduktivität, Produktqua-
lität und Kundenzufriedenheit in den vergangenen zwei Jahren
zusammenhängt. Entgegen der Erwartung zeigte sich dieser
Zusammenhang unabhängig von der Alterszusammensetzung
der Belegschaft und kann daher als relativ robust angesehen
werden. Zwischen der Nutzung individualisierter Personalent-
wicklungsmaßnahmen und der Absentismusrate zeigte sich
lediglich für Organisationen mit einem hohen Anteil älterer
Individualisiertes
Personalmanagement
P. Matthijs Bal
(School of Management, University of Bath),
Luc
Dorenbosch
(TNO | Research Institute for Work and Employment):
„Age-related differences in the relations between individualised
HRM and organizational performance: a large-scale employer sur-
vey”. Human Resource Management Journal, 2015, Vol. 25,
No. 1, pp. 41–61.
Arbeitnehmer (über 45 Jahre) ein negativer Zusammenhang,
was für einen womöglich (zu) starken Anpassungsdruck auf
ältere Arbeitnehmer spricht. Ein Zusammenhang mit der
Fluktuationsrate zeigte sich nicht.
Weiterhin zeigte sich, dass die Nutzung individualisierter
Arbeitszeitregelungen unabhängig von der Alterszusam-
mensetzung der Belegschaft mit einem höheren Leistungs-
zuwachs verbunden ist. Ein (negativer) Zusammenhang
zwischen individualisierten Arbeitszeitregelungen und der
Absentismusrate hingegen zeigte sich nur in Organisati-
onen mit einem hohen Anteil älterer Arbeitnehmer, was für
einen positiven Effekt dieser Maßnahme auf das emotionale
Wohlbefinden älterer Arbeitnehmer spricht. Anders herum
verhält es sich mit der Fluktuationsrate: Die Nutzung indi-
vidualisierter Arbeitszeitregelungen geht in Organisationen
mit einem hohen Anteil jüngerer Arbeitnehmer mit einer
höheren Fluktuationsrate einher. Dies deutet darauf hin,
dass sich in diesen Organisationen mehr Arbeitnehmer fin-
den, die individualisierte Arbeitszeitregelungen als Signal
interpretieren, dass voller Einsatz nur bedingt vom Arbeit-
geber wertgeschätzt wird, und daher zu Organisationen mit
besserer Passung abwandern.
Darüber hinaus ergaben die Analysen, dass die Nutzung
individualisierter Vergütungspraktiken mit geringerer Fluk-
tuation (nicht aber mit Leistungszuwachs und Absentismus-
rate) verbunden sind – interessanterweise jedoch nur in
Organisationen mit einem hohen Anteil älterer Arbeitnehmer.
Die Autoren erklären sich diesen Befund wie folgt: Setzen
Organisationen individualisierte Vergütungspraktiken (ty-
pischerweise im Rahmen des Retention Managements von
High Performern) ein und beschäftigen darüber hinaus einen
hohen Anteil älterer Arbeitnehmer, deutet dies auf eine hohe
Ausstattung der Arbeitskräfte mit Humankapital hin. Die hohe
Nachfrage nach hochqualifizierten, erfahrenen Arbeitskräften
bedingt einen stärkeren Wettbewerb auf dem Arbeitsmarkt
und begünstigt dementsprechend die Fluktuation dieser Ar-
beitskräfte.
Die Befunde verdeutlichen, dass individualisierte Personal-
managementpraktiken ihre Berechtigung haben. „Mehr oder
weniger“ Individualisierung ist jedoch die falsche Fragestel-
lung – entscheidend ist vielmehr, in welchen Bereichen Perso-
nalmanagementpraktiken individualisiert werden sollten (und
in welchen nicht). Dies hängt zum einen davon ab, was mit
der Individualisierung erreicht werden soll (bspw. Senkung
der Fluktuationsrate vs. Steigerung der Arbeitsproduktivität).
Zum anderen hängt die Entscheidung von den Bedürfnissen
der Belegschaft bzw. den Bedürfnissen der beteiligten Arbeit-
nehmergruppen (bspw. ältere vs. jüngere Arbeitnehmer) ab.
Besprochen von
Benjamin P. Krebs,
Lehrstuhl International
Business, Universität Paderborn
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