PERSONALquarterly 3/2015 - page 45

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muss nicht unbedingt überraschen, denn im Rahmen des Gra-
tifikationskrisen-Modells werden auch explizit Stressaspekte
abgefragt. Diese sind jedoch im Gratifikationskrisenmodell
ausdrücklich relativierbar. Würden bspw. die entsprechenden
Belohnungen (in Form von Anerkennung, Vergütung etc.) als
angemessen oder sogar als attraktiv erscheinen, dann würden
auch Gratifikationskrisen entsprechend seltener auftreten, weil
die Belastungen der Ausbildungssituation ausbalanciert wer-
den würden. Genau hier scheint sich jedoch ein Schwachpunkt
der Ausbildungsgestaltung zu zeigen, denn es deutet sich an,
dass nicht zuletzt im Bereich der Wertschätzung auf Seiten der
Ausbildungsbetriebe wichtige Potenziale ungenutzt bleiben.
Ausbildungsbetriebe, die sich dieser Zusammenhänge be-
wusst sind und Interesse daran zeigen, die Einschätzungen der
Auszubildenden hinsichtlich einer Work-Life-Balance oder im
Sinne des Gratifikationskrisenmodells zu erheben, bekommen
auf diese Weise die Chance, aktiv zu werden. Dies gilt ins-
besondere im Falle des Gratifikationskrisenmodells, welches
Aussagen darüber zulässt, ob es eher an den Belohnungen
(nochmals differenzierbar nach den Subskalen Anerkennung,
Bezahlung/Aufstieg und Arbeitsplatzsicherheit) oder an den
Verausgabungen liegt. In beiden Fällen ist die Erhebung auf-
grund der überschaubaren Anzahl an Fragebogenitems ver-
gleichsweise einfach und insbesondere die Globalurteile lassen
sich auch in bestehende Befragungen integrieren.
Letztlich kann und soll allerdings keineswegs abgeleitet wer-
den, dass betriebliche Ausbildung „stressfrei“ verlaufen müsse
und unter keinen Umständen belastend wirken dürfe, zumal
es sich hierbei lediglich um subjektive Wahrnehmungen und
Bewertungen handelt. Da jedoch die Folgen bis hin zu einer
erhöhten Wahrscheinlichkeit eines Ausbildungsabbruchs rei-
chen (Deuer 2013b), sollten die Betriebe hierfür zumindest
sensibilisiert sein. Eine Ausbildungsorganisation nach dem
Motto „Lehrjahre sind keine Herrenjahre“ erscheint jedenfalls
vor diesem Hintergrund weniger zeitgemäß als je zuvor.
SUMMARY
Research question:
The number of apprenticeship contracts that
are terminated early remains high. Often cited reasons are company-
orientated. Are these young people overburdened or could a gap
between the amount of work and the financial reward received be
the real reason? Can early warning signals be identified?
Methodology:
Questionnaires were disseminated at vocational
business schools to investigate the perceived work-life-balance, stress
factors and rewards.
Practical implications:
Deficits in the daily training routine become
visible, thus allowing improvements to be identified.
PROF. DR. ERNST DEUER
Professur für Allgemeine Betriebswirt-
schaftslehre, insbes. Personalmanagement
und Mitarbeiterführung
Stellv. Geschäftsführer der Fachkommission
Wirtschaft, DHBW Ravensburg
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