PERSONALquarterly 3/2015 - page 39

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n der Arbeitswelt gilt Work-Life-Balance noch häufig als
„weicher“ und somit ggf. vernachlässigbarer Faktor, und
gerade im Kontext der Berufsausbildung irritiert dieser
Begriff insbesondere dort, wo noch immer die Überzeu-
gung zu spüren ist, dass „Lehrjahre nunmal keine Herrenjahre“
seien. Diese Haltung als Leitidee betrieblicher Berufsausbil-
dung ist sicherlich kritisch zu sehen, insbesondere gemessen
an den aktuellen und perspektivischen Herausforderungen im
Kontext der demografischen Entwicklung. Hinzu kommt, dass
die Rahmenbedingungen der betrieblichen Ausbildung sowie
die hiermit korrespondierende subjektiv empfundene Work-
Life-Balance durchaus „harte“ Folgen bis hin zu Ausbildungs-
abbrüchen (Deuer 2013a) haben können.
Forschungsstand
Das Konzept der Work-Life-Balance ist populär – dies zeigen die
häufige Berichterstattung in öffentlichen Medien, die relativ
hohe Zahl international veröffentlichter Studien sowie Berichte
von deutschen Netzwerken oder Organisationen (vgl. Schuller,
Rau 2013, S.107f.). Es gibt allerdings bislang (insbesondere
in Deutschland) nur sehr wenige Verfahren, die Work-Life-​
Balance und/oder deren Wirkungen erfassen können, was
einen breiten Transfer dieses Ansatzes in der betrieblichen
Praxis begünstigen würde. So gibt es nur ein einziges deutsch-
sprachiges Verfahren zur Erfassung von Work-Life-Balance,
„welches ausreichend validiert und zudem ökonomisch ist“
(Schuller, Rau 2013, S.107f.). Hierbei handelt es sich um die
„Trierer Kurzskala zur Messung von Work-Life-Balance“,
welche eine richtungsfreie Bewertung der Work-Life-Balance
ermöglicht. Hieraus geht somit nicht hervor, „warum eine
Work-Life-Balance erreicht wird oder nicht“ (Syrek, Bauer-Em-
mel, Antoni, Klusemann 2011, S. 137), was jedoch aus betrieb-
licher Sicht äußerst relevant wäre.
Darüber hinaus existiert eine deutschsprachige Übersetzung
eines Fragebogens zur Erhebung von „Work-Family“-Konflikten
von Carlson, Kacmar und Williams (2000) durch Wolff und Hö-
ge (2011). In diesem Verfahren wird jedoch das „Privatleben
auf das Familienleben begrenzt“ (Schuller, Rau 2013, S. 108)
und es ist daher nur eingeschränkt anwendbar, weil die Fra-
gen „nur von Beschäftigten mit Familien beantwortet werden
Die Bedeutung der Work-Life-Balance
für eine zeitgemäße Personalarbeit
Von
Prof. Dr. Ernst Deuer
(DHBW Ravensburg)
können“ (Pangert, Schiml, Schüpbach 2015, S. 314). Problema-
tisch ist auch, dass hierbei die Konflikte zwischen den Lebens­
bereichen im Vordergrund stehen und weniger danach gefragt
wird, auf welche Kriterien sich diese Bewertungen stützen.
Dasselbe gilt für das Verfahren von Schuller und Rau (2013),
welches „negatives Spillover“ thematisiert, also die Übertra-
gung negativer Effekte von der Arbeit auf das Privatleben bzw.
vom Privatleben auf die Arbeit. Die Ableitung konkreter Maß-
nahmen für die betriebliche Praxis fällt auf dieser Basis jedoch
schwer, da die Ursachen, die dazu geführt haben könnten, nicht
beleuchtet werden.
Es gibt zudem eine große Bandbreite an Studien (vgl. hierzu
Mohe, Dorniok, Kaiser 2010 sowie die dort referierten Studien),
die sich mit demKonzept der Work-Life-Balance beschäftigt ha-
ben und explizit den Versuch unternehmen, die positiven Fol-
gen von solchen Maßnahmen, welche eine Work-Life-Balance
fördern, nachzuweisen. Hierbei zeigt sich jedoch regelmäßig
das Problem, dass die Maßnahmen zwar nachvollziehbar und
die hiermit verbundenen Kosten weitgehend bezifferbar sind.
Die Folgen (Steigerung von Umsatz, Mitarbeiterzufriedenheit,
Motivation etc.) lassen sich dagegen nicht so einfach messen
und auch eine Kausalität zwischen Maßnahmen und gemes-
senen Folgen ist keineswegs sicher. Außerdem basieren diese
Studien vor allem auf den Aussagen von Unternehmensvertre-
tern und nur selten auf Befragungen der Beschäftigten, was
entsprechende Verzerrungen der Bewertungen mit sich bringt
(Mohe, Dorniok, Kaiser 2010, S. 111). Im Hinblick auf die be-
sondere Situation der Auszubildenden kommt hinzu, dass das
klassische Instrumentarium zur Verbesserung der Work-Life-
Balance insbesondere solche Maßnahmen umfasst, die nicht
oder zumindest kaum für Auszubildende in Frage kommen.
Ausbildung in Teilzeit oder Auszubildende, die gleichzeitig El-
ternpflichten haben oder die eigenen Eltern pflegen, gibt es
– aber es sind Einzelfälle. Die breite Masse wird jedoch weder
betriebliche Kinderbetreuungsplätze nutzen noch (teilweise)
im Home-Office arbeiten, und selbst Modelle flexibler Arbeits-
zeiten stoßen schnell an die Grenzen der Ausbildungsorgani-
sation. Dieselbe Einschränkung bezieht sich auch auf Studien,
die sich auf die Wahrnehmung und Bewertung von Work-Life-
Konflikten beziehen.
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