PERSONALquarterly 3/2015 - page 56

PERSONALquarterly 03/15
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_DIE WAHRHEIT HINTER DER SCHLAGZEILE
D
ie Wirtschaftswoche dröselt am 23.2.2015 unter
dem Titel „Hoch geschnitten“ die Ökonomie der
Schönheit auf. Warum sollte auch ein Wirtschafts-
blatt in den Wochen, in denen alle Hochglanzhefte,
Gazetten der Regenbogenpresse und Tageszeitungen über
nachweihnachtliche Diäten schreiben, auf ein solch schnei-
diges Thema wie die Schönheitsoperation für Manager ver-
zichten? Immerhin steigt die Zahl der Männer, die Fitness
und schniekes Äußeres zum Statussymbol erheben und die
Schönheitsindustrie profitiert davon – von den Kosmetikfir-
men über Schönheitsfarmen bis zu den Medizinmännern, die
neuen Glanz versprechen.
Regelmäßig in den vergangenen Jahren beschäftigten schön-
heitsbewusste und schöne Frauen und Männer Journalisten
wie Wissenschaftler – mit durchaus unterschiedlichen Ergeb-
nissen. Am intensivsten hat sich der US-Wirtschaftsprofessor
Daniel S. Hamermesh wohl mit der Korrelation zwischen
Schönheit und Erfolg beschäftigt. Der inzwischen 71-Jäh-
rige, der an der University of Texas in Austin aktiv ist und
wissenschaftlicher Berater des Deutschen Instituts für Wirt-
schaftsforschung DIW in Berlin war, veröffentlicht seit 1993
Studien über die Auswirkungen von physischer Attraktivität
in Klassenzimmern, auf die Produktivität, den Arbeitsmarkt
und Migration. Schließlich erschien von Hamermesh 2011 bei
Princeton University Press das Standardwerk „Beauty Pays.
Why Attractive People Are More Successful“ – gleichzeitig
Metastudie und Auswertung eigener Erkenntnisse. So wer-
tete sein Forscherteam einen Datensatz von 2700 Frauen
und Männern aus. Hamermesh unterteilte die Testpersonen
in vier Kategorien von schön bis hässlich – Kriterien sind
vor allem allgemein anerkannte Merkmale des Gesichts und
seines Ausdrucks –, und setzte das Einkommen in Relation.
Das Ergebnis: Bis zu fünf Prozent jährlich verdienen gutaus-
sehende Menschen mehr. In seiner Definition von Schönheit
berücksichtigt Hamermesh das US-typische Gemisch aus
weißen Einwohnern, Afroamerikanern, Asienstämmigen und
Hispano-Amerikanern. Und er äußert sich zu den Job- und Ge-
haltschancen von „schlecht aussehenden Erwerbstätigen“. Die
könnten ihre beruflichen Aussichten nur verbessern, indem
sie auf andere Werte setzen.
Wenn ein attraktives Äußeres der Karriere nutzt, weil Personalentscheider vom guten
Aussehen auf berufliche Kompetenz schließen, hat die Voreingenommenheit gewonnen.
Schöner Schein
Der Erfolg scheint auf Politiker übertragbar. Marcus Maurer
und Harald Schoen haben 2009 während des Wahlkampfs die
Zeitungsberichte über 25 Wahlkreiskandidaten untersucht.
Optisch Attraktive erhielten mehr Aufmerksamkeit durch
Journalisten. Wer gut aussah und sympathisch wirkte, dem
wurde sachliches Know-how unterstellt. Allerdings geriet ihr
ansprechendes Äußeres Frauen nicht zum Vorteil, weil bei
ihnen kein Zusammenhang zwischen gutem Aussehen und
erwarteter Kompetenz hergestellt wurde. Da schlug die tra-
dierte Denke vom schmückenden Beiwerk wohl durch. Wie
Personalmanager, Richter, Studierende und Wahlberechtigte
können sich – so die Soziologen der Bamberger Uni – auch
Journalisten der Anziehungskraft der physischen Attraktivität
nicht entziehen. Inwiefern gewählte Politiker daraus in ihrer
Mandatszeit Kapital schlagen können, bleibt in dieser kleinen
Untersuchung offen.
Ungleichheit zwischen Beliebtheit und Kompetenz
Dieser Fragestellung haben sich der belgische Volkswirt-
schaftsprofessor Benny Geys, der jetzt an der Norwegian
Business School in Oslo lehrt und vorher beim WZB Wissen-
schaftszentrum Berlin für Sozialforschung Station machte, und
Kollegen vorgenommen. 614 Bundestagsabgeordnete wurden
nach ihren außerparlamentarischen Aktivitäten und ihrer op-
tischen Attraktivität bewertet. Heraus kam ein Schlag für die
Schönheitsindustrie. Gutaussehende Abgeordnete profitierten
nur indirekt von ihrem Äußeren, wenn sie von außerparla-
mentarischen Gruppen angefragt werden. Das Äußere trägt
zur Beliebtheit bei. Allerdings schränken die Forscher ihre
Ergebnisse dahingehend ein, dass Beliebtheit und Attrakti-
vität bereits während des Wahlkampfs bei der Auslese eine
Rolle gespielt haben könnte. Und Geys fragt: „Ist Ungleichheit
zwischen Beliebtheit und Kompetenz überhaupt der richtige
Ansatz? Und arbeiten wir lieber mit liebenswerten Verrückten
oder kompetenten Idioten zusammen?“ Der Wissenschaftler
sieht in dieser Fragestellung spannende weitere Forschungs-
themen.
Auch Maria Agthe, Professorin für Sozialpsychologie an der
Ludwig-Maximilians-Universität München, sieht die Frage
nach der äußerlichen Schönheit und ihrer Wirkung auf die
Ruth Lemmer
, Freie Wirtschaftsjournalistin, Düsseldorf
1...,46,47,48,49,50,51,52,53,54,55 57,58,59,60
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