PERSONALquarterly 3/2015 - page 28

PERSONALquarterly 03/15
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NEUE FORSCHUNG
_PERSONALAUSWAHL
züglich die Notwendigkeit des intensiven Austauschs in einer
direkten Interaktion zwischen Wissenschaft und Praxis (An-
derson, 2007; Cascio/Aguinis, 2008; Cohen, 2007). An dieser
Kommunikations-Schnittstelle sollten gerade Studierende, die
aus der Wissenschaft in die Berufspraxis starten, ansetzen
können. Durch sie sollte ein Transfer von wissenschaftlichen
Erkenntnissen in die Praxis möglich sein, denn Studierende
könnten das an der Universität oder Hochschule erworbene
Wissen in das Unternehmensumfeld übermitteln und gleich-
zeitig dessen Relevanz und Nützlichkeit darstellen sowie
dadurch sowohl Wissens- als auch Umsetzungslücken überbrü-
cken. In Bezug auf die Frage, wie die beschriebene Kluft über-
wunden werden kann, wurde die Zielgruppe der angehenden
Personalmanager(-innen) bisher deutlich zu wenig betrachtet.
Eine wichtige Voraussetzung, damit Berufseinsteiger als er-
folgreiche Vermittler fungieren können, stellt ausreichendes
Wissen über aktuelle wissenschaftliche Erkenntnisse dar. Wei-
terhin sollten die Studierenden adäquate Vorstellungen von der
Anwendungshäufigkeit entsprechender Personalauswahlver-
fahren in der Praxis haben, um von diesen im Unternehmen
vorherrschenden Praktiken nicht völlig überrascht zu werden.
Daher war es Ziel dieser Studie, das Wissen der Studierenden
über die Höhe der Validität von Personalauswahlinstrumenten
und die Erwartung der Studierenden hinsichtlich der Einsatz-
häufigkeit dieser Instrumente zu erfragen sowie mit den An-
gaben tatsächlicher Personalmanager(-innen) zu vergleichen.
Untersuchung und Ergebnisse
Zur Beantwortung der beschriebenen Fragestellung wurden
97 Personalmanager(-innen) aus Deutschland, Österreich und
der Schweiz mit einem 5-minütigen Onlinefragebogen befragt
(Alter: Mittelwert [M] = 38.66; Standardabweichung [SD] =
9.09; Unternehmensgröße in Mitarbeiteranzahl: Median [Mdn]
= 610) sowie 1.049 deutsche Studierende (Alter: M = 23.70; SD
= 4.37; Fachsemester: M = 4.76; SD = 2.85; Fachrichtung: 46%
Psychologie, 37% Wirtschaftswissenschaften, 6% Rechts- und
Verwaltungswissenschaften, 6% Pädagogik und 5% Sonstige).
Um aussagekräftige Ergebnisse zu erhalten, sollte die Grup-
pe der Studierenden vorwiegend solche Personen enthalten,
die nach Abschluss ihrer universitären Ausbildung in einen
personalspezifischen Beruf einsteigen wollen oder werden. So
flossen in die vorrangige Analyse nur die Daten derjenigen
Studierenden ein, die sowohl Personalinteresse aufwiesen als
auch personalspezifische universitäre Veranstaltungen be-
sucht hatten. Es ergab sich dadurch eine Substichprobe von
441 personalinteressierten und entsprechend vorgebildeten
Studierenden. Studierende und Personalmanager(-innen)
sollten die in Abb. 1 genannten Auswahlinstrumente hinsicht-
lich ihrer Validität in eine Rangreihe bringen. Auf diese Weise
konnte der geschätzte mit dem tatsächlichen Validitätsrang
(siehe Abb. 1) verglichen werden. Um sicherzustellen, dass
alle Teilnehmer ein einheitliches Verständnis des Begriffs Va-
lidität haben, wurde dem Fragebogen folgende Formulierung
hinzugefügt: „Bitte positionieren Sie die Methode ganz oben,
von der Sie glauben, dass die Ergebnisse, die damit erzielt
werden, am besten in der Lage sind, beruflichen Erfolg vor-
herzusagen (die höchste Validität aufweisen).“ Die Studieren-
den sollten ferner die Verwendungshäufigkeit (in Prozent) der
Verfahren in kleinen und mittelständischen Unternehmen in
Deutschland schätzen. Da die Personalpraktiken großer Unter-
nehmen teilweise deutlich von den Personalpraktiken kleiner
und mittelständischer Unternehmen abweichen, wurde diese
Einschränkung in der Fragenformulierung sowohl für die Stu-
dierenden als auch die Personalmanager(-innen) gesetzt.
Es zeigte sich, dass die Personalmanager(-innen) sich im
Schnitt um 2.3 Rangplätze (SD = 0.63) verschätzten. Dies ist bei
nur sieben Rangplätzen als durchaus unpräzise einzustufen.
Die personalinteressierten Studierenden waren allerdings nur
geringfügig besser und verschätzten sich um durchschnittlich
2.1 Rangplätze (SD = 0.60). Dieser kleine Unterschied zwischen
den beiden Gruppen wies statistische Signifikanz auf, was
angesichts des vorhandenen Stichprobenumfangs allerdings
nicht verwunderlich ist. Daher ist es deutlich sinnvoller, die Ef-
fektstärken zu betrachten, da diese unabhängig von der Stich-
probengröße sind. Die Effektstärke des Mittelwertunterschieds
zwischen den beiden Stichproben – berechnet über das Effekt-
stärkenmaß Hedges g – liegt bei .33. Bei einem Wertebereich
von Hedges g, der meist zwischen 0 und 1 liegt, deutet dies
auf einen eher geringen Effekt hin. Innerhalb einer multiplen
Regression konnten Alter und Geschlecht ferner als Einfluss-
variablen ausgeschlossen werden. Studierende mit Studien-
fokus Personal konnten damit die Validität von Instrumenten
der Personalauswahl nur geringfügig präziser einschätzen als
Personalmanager(-innen).
Wie Abb. 2 verdeutlicht, zeigten sich die gravierendsten
Fehleinschätzungen beider Gruppen hinsichtlich der psycho-
logischen Testverfahren (also bzgl. der Messung der Intelli-
genz und der Persönlichkeit). Betrachtet man nun die Richtung
der mittleren Abweichungen genauer, zeigt sich, dass sowohl
die Studierenden als auch die Personalmanager(-innen) die
Validität von Assessment Centern, Persönlichkeitstests und
unstrukturierten Interviews eher überschätzen. Die Validität
von Intelligenztests, Fachwissenstests und strukturierten In-
terviews wird allerdings häufiger unterschätzt. Hinsichtlich
der mittleren Abweichung bei der Einschätzung der Validi-
tät von Arbeitsproben lässt sich innerhalb der Gruppe der
Personalmanager(-innen) im Durchschnitt eine Unterschät-
zung feststellen, innerhalb der Gruppe der Studierenden hin-
gegen im Durchschnitt eine Überschätzung.
Bei weiterführenden Analysen zeigte sich außerdem, dass
Studierende mit Personalschwerpunkt nicht präziser in ihrer
Schätzung sind als Studierende ohne diesen Fokus (mittlere
1...,18,19,20,21,22,23,24,25,26,27 29,30,31,32,33,34,35,36,37,38,...60
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