PERSONALquarterly 3/2015 - page 18

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PERSONALquarterly 03/15
SCHWERPUNKT
_ANREIZ UND VERGÜTUNG
sukzessive erweiterten. In weiten Teilen der wirtschaftswis-
senschaftlichen Forschung ist mittlerweile anerkannt, dass
ein nicht vernachlässigbarer Teil an Individuen neben egois-
tischen auch soziale Präferenzen besitzt (Fehr/Schmidt, 2006).
In theoretischen Beiträgen wurden Anreizmodelle entwickelt,
die neben monetären Pay-for-Performance-Anreizen auch auf
soziale Präferenzen wie bspw. auf reziprokes Verhalten („Gift
Exchange“) abstellen (Englmaier/Leider, 2012a). Weitaus mehr
Aufmerksamkeit bekam die praktische Anwendbarkeit von re-
ziprokem Verhalten jedoch aus empirischer Sicht, mit einer
Vielzahl von Labor- und auch Feldexperimenten. Die grund-
legende Einsicht von Akerlof (1982), dass „Gift Exchange“ zur
Motivation von Arbeitern führen kann, also eine positive Korre-
lation von Gehaltsniveau und Mitarbeiteranstrengung, wurde
früh und wiederholt im Labor validiert. In zahlreichen Vari-
ationen hinsichtlich verschiedener Grade von Wettbewerbs­
intensität auf dem Arbeitsmarkt und unter verschiedenen
Produktionstechnologien wurden diese Befunde bestätigt.
Weniger eindeutig ist die Ergebnislage in Feldstudien. Hier
wurden sowohl starke positive und anhaltende Leistungsstei-
gerungen infolge von Lohnerhöhungen dokumentiert (Belle-
mare/Shearer, 2009) als auch negative Reziprozität, also
Verminderung des Arbeitseinsatzes nach Lohnkürzungen
(Kube et al., 2013). Im Gegensatz hierzu stehen aber u.a. die
Ergebnisse von Gneezy und List (2006), die – aus Firmen-
perspektive besonders wichtig – nur sehr kurzlebige positive
Effekte von Lohnerhöhungen auf die Arbeitsleistung finden.
Für die gemischten Ergebnisse der Feldexperimente gibt es
primär zwei Ursachen: Erstens ist entscheidend, unter wel-
chen Rahmenbedingungen „Gift Exchange“ stattfinden soll.
Zweitens sind nicht alle Menschen gleich. Soziale Präferenzen
sind individuell unterschiedlich stark ausgeprägt mit Auswir-
kungen auf die Hebelwirkung von „Gift Exchange“ (Dohmen
et al, 2009).
Englmaier und Leider (2012b) führten an der Harvard Busi-
ness School eine Feldstudie durch, für die über eine Zeitar-
beitsfirma Arbeiter zur Digitalisierung von historischen
Volkszählungsdaten rekrutiert wurden. Durch kontrollierte
Variation der Arbeitsumgebung war es möglich, kausale Aus-
sagen zumVerhalten der Zeitarbeiter zu treffen. In ihrer Studie
erhielt ein Teil der Zeitarbeiter ein unerwartet großzügiges
Lohnangebot („Wage Gift“). Einem Teil wurde zusätzlich ex-
plizit mitgeteilt, dass die von ihnen ausgeführte Arbeit von
besonderer Wichtigkeit für ihre Arbeitgeber ist. Diese Aussage
stellte somit die überraschende Lohnerhöhung in einen ver-
ständlichen Kontext. Englmaier und Leider zeigen, dass bei Be-
trachtung der gesamten Stichprobe – dies war der Ansatz von
Gneezy und List (2006) in der zitierten Studie – keine positiven
Effekte von „Wage Gifts“ auf die Arbeitsleistung nachzuweisen
waren (Abb. 2, Spalte 1). Sobald jedoch darauf abgestellt wird,
ob Arbeiter „reziprok“ eingestellt sind und sie den Kontext
des großzügigen Lohnangebots kennen, findet man starke und
persistente Effekte von „Gift Exchange“ für diese reziproken
Teilnehmer (Spalte 2), jedoch keinen Effekt für die nicht als
reziprok klassifizierten Teilnehmer (Spalte 3). „Gift Exchange“
kann also zu einer Erhöhung der Mitarbeiterleistung führen,
wenn die Firma die hierfür „richtigen“ Mitarbeiter rekrutiert
hat und in der Umsetzung auf klare Kommunikation achtet.
In einem weiteren Feldexperiment stellten Englmaier und
Gebhardt (2011) Studierende zur Inventarisierung einer Bi-
bliothek ein. Neben der eigentlichen Arbeitsleistung maßen
die Autoren sowohl die Fähigkeit der Studierenden für die
spezifische Aufgabe (die Geschwindigkeit, in der sie in der
Lage waren, Bücher zu inventarisieren) als auch die Präfe-
renzneigung eines jeden hinsichtlich seines Hangs zur Rezi-
prozität. Die Autoren konnten auf diese Weise zeigen, dass die
Produktivität für Firmen im selben Umfang von der Fähigkeit
der Studierenden wie auch von weicheren Aspekten wie deren
Persönlichkeitstyp abhängt. Persönlichkeitsmerkmale haben
also tatsächliche ökonomische Relevanz für Unternehmen.
In einem weiteren Laborexperiment maßen Englmaier et
al. (2014) sowohl Fähigkeit als auch Vertrauenswürdigkeit
(„Trustworthiness“) von Teilnehmern in Hinblick auf deren Ar-
beitseinsatz und stellten diese Informationen experimentellen
Arbeitgebern zur Verfügung. Diese nutzten beide Informatio-
nen und zahlten sowohl fähigen als auch vertrauenswürdigen
Mitarbeitern jeweils Lohnprämien. Doch nicht nur diese Arbeit-
nehmer profitierten: Die Profitabilität derjenigen experimentel-
len Arbeitgeber war am höchsten, die in der Lage waren, fähige
und gleichzeitig vertrauenswürdige Mitarbeiter anzuziehen.
Reziprozität und Unternehmenserfolg
Wie bereits beschrieben liefern Laborergebnisse sehr konsis-
tente Ergebnisse zugunsten der Relevanz von sozialen Präfe-
renzen. Damit schließt sich unmittelbar die Frage an, ob die
beobachteten Muster auch auf tatsächlichen Arbeitsmärkten
zu finden sind. Anders ausgedrückt: Versuchen Firmen tat-
sächlich – bewusst oder unbewusst – Mitarbeiter hinsichtlich
ihrer Persönlichkeit zu selektieren, und wenn ja, richten sie
dann ihre HR-Strukturen systematisch darauf aus?
Erstmals stellten Huang und Cappelli (2010) Methoden zum
Screening von Bewerbern in Zusammenhang zur Organisati-
onsstruktur von Firmen. Basierend auf einer repräsentativen
Umfrage unter US-amerikanischen Unternehmen identifi-
zierten sie Firmen, die bei Einstellungsgesprächen besonderes
Augenmerk auf die Arbeitsethik, die intrinsische Motivation,
der Bewerber legten. Firmen, die diesem Charakterzug eine
besonders große Bedeutung beimaßen, überwachen ihre Mit-
arbeiter im Schnitt weniger, vertrauen mehr auf Teamwork
und haben eine geringere Kündigungsquote. Wichtiger noch:
Die Arbeitsproduktivität in diesen Firmen ist höher und die
Mitarbeiter erhalten großzügigere Löhne.
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