CONTROLLER Magazin 1/2016 - page 39

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Freichel:
Auch ich bin der Meinung, dass der
Lagebericht ausschließlich auf die Informati-
onsvermittlung fokussiert ist. Sein Inhalt ist an
den Informationsinteressen der Adressaten
auszurichten. Die Informationen aus dem Jah-
resabschluss alleine können diese Interessen
also nicht befriedigen.
Diese müssen durch
weitere entscheidungsnützliche Informatio-
nen ergänzt werden.
Hierdurch wird die klas-
sische „Finanzberichterstattung“ eines Unter-
nehmens zum „Business-Reporting“ erweitert.
Biel:
Entfernen wir uns damit ein Stück vom
Jahresabschluss?
Freichel:
Der Lagebericht kann somit ein Me-
dium wertorientierter Berichterstattung sein,
welches abgekoppelt von den Grundsätzen
ordnungsmäßiger Buchführung (GoB) ist.
Biel:
Viele unserer Leserinnen und Leser sind in
der Unternehmenspraxis tätig. Daher die Bitte,
die Praxis des Lageberichts noch etwas zu ver-
tiefen.
Freichel:
Die Schwerpunkte in der Praxis
liegen im Prognose-, Chancen- sowie Ri-
sikobericht.
In den letzten Jahren wurde der
Prognosezeitraum mehrfach geändert. Dies
ist auch auf die zum Teil unkalkulierbaren
Wirkungen der Finanzkrisen auf die Lage der
Unternehmen zurückzuführen. In solchen Zei-
ten tun sich die Unternehmen mit entspre-
chenden Prognosen schwer. Der Prognose-
zeitraum schwankte zwischen einem und
zwei Jahren. Derzeit gilt der einjährige Prog-
nosezeitraum. Dies soll die Prognosegenau-
igkeit erhöhen.
Biel:
Ist der Lagebericht dann ein „Hoffnungs-
träger“ der Geschäftsleitung?
Freichel:
Die bereitgestellten Informationen
müssen schon
objektivierbar
sein und sollen
nicht nur von dem Prinzip „Hoffnung“ getragen
sein. Sofern eine erhebliche Unsicherheit be-
steht, sollen wenigstens die Resultate unter-
schiedlicher Szenarien miteinander verglichen
werden.
Biel:
Wofür gilt der von Ihnen erwähnte Einjah-
reszeitraum? Muss auch bedeutungsgemäß
berichtet werden?
Freichel:
Der vorgenannte
Einjahreszeitraum
gilt im Übrigen ebenfalls für den Risiko- sowie
Chancenbericht. Selbstverständlichkeiten, sog.
generische Risiken bzw. Chancen, oder inhalts-
leere Floskeln dürfen nicht berichtet werden.
Im Sinne einer aussagefähigen Risikobericht-
erstattung ist zu fordern, dass aus der Dar-
stellung der Risiken
deren Bedeutung her-
vorgehen muss.
Biel:
Worüber ist leichter zu berichten, über
Chancen oder über Risiken?
Freichel:
Es ist zu beobachten, dass sich
die Praxis mit dem Chancenbericht schwer-
tut.
Dieser ist im Vergleich zum Risikobericht,
was den Umfang angeht, oftmals stark unter-
entwickelt. Ein weiteres Problem in der Praxis
ist, dass zum Teil Chancen und Risiken im
Sinne einer „Nettoberichterstattung“ saldiert
werden. Dies ist nicht zulässig.
Biel:
Beschreibt der Lagebericht verbal nur
das, was im Jahresabschluss ohnehin steht?
Freichel:
Da sprechen Sie ein Problem an. In
der Tat muss darauf hingewiesen werden –
und auch dies beachtet die Praxis häufig nicht
adäquat –, dass nicht ein den tatsächlichen
Verhältnissen entsprechendes Bild der Ver-
mögens-, Finanz- und Ertragslage
unter Be-
achtung der GoB
dargestellt werden darf,
also letztendlich lediglich die Zahlen des
Jahresabschlusses kommentiert werden,
sondern die gesamte Lage des Unterneh-
mens ohne die Einschränkung der GoB
vermittelt werden muss.
Biel:
Können Sie uns diese Feststellung an
einem kleinen Beispiel verdeutlichen?
Freichel:
Liegen z. B. erhebliche
stille Re-
serven
in Vermögensgegenständen vor, ist
zumindest verbal auf diese Tatsache hinzu-
weisen. Hierfür sind betriebswirtschaftliche,
volkswirtschaftliche, technische, rechtliche
und soziale Aspekte zu berücksichtigen.
Biel:
Herr Freichel, können Sie unseren Lese-
rinnen und Lesern vor dem Hintergrund ihrer
Praxiserfahrungen noch einige ergänzende
praktische Aspekte vermitteln?
Freichel:
Die Aussagen zum voraussichtlichen
Geschäftsverlauf und zur erwarteten künftigen
wirtschaftlichen Lage dürfen sich nicht auf eine
Darstellung beschränken,
sondern müssen
darüber hinaus Zusammenhänge verbal
klären
. Das bedeutet, dass die voraussicht-
liche Entwicklung sowohl der Vermögens- und
der Ertrags- als auch der Finanzlage mit ihren
wesentlichen Eckdaten zu erläutern ist. Dies
bezieht sich nach Ansicht maßgeblicher
Meinungen in den Kommentierungen bzw. im
Berufsstand der Wirtschaftsprüfer insbeson-
dere auf
°
die Beschäftigung und Belegschaft,
°
die Investitionen und ihre Finanzierung,
°
den Umsatz, die Aufwendungen und die
Erträge sowie
°
das Geschäftsergebnis.
Für den Normalfall mittelständischer Unterneh-
men ist eine Reduzierung des Prognoseum-
fangs auf die wesentlichen Teilaspekte wie
°
Umsatzentwicklung,
°
operative Ergebniseinschätzung bzw.
°
Hinweise zur erwarteten branchen-
bezogenen konjunkturellen Entwicklung
als Mindestumfang ausreichend, damit Über-
frachtungen im Lagebericht vermieden werden.
Biel:
Ihre Antwort stößt einen anderen Aspekt
an. Es gibt vielfältige Diskussionen zu den
„Grenzen der Zahlen“
. Der Lagebericht soll
eine erläuternde verbale und integrierende
Darstellung der Gesamtlage des Unterneh-
mens wiedergeben. Was können wir aus die-
ser Bedeutung und Notwendigkeit des Lage-
berichts
für die Aussagekraft von Bilanz
und GuV ableiten?
Was bedeutet dies für
die Aussagefähigkeit von Zahlenwerken über-
haupt?
Brösel: Bereits Eugen Schmalenbach stellte
fest, dass der Zweck die Rechnung be-
stimmt. Dieter Schneider konkretisierte:
„Der Rechnungszweck bestimmt über das
Rechnungsziel den Rechnungsinhalt.“
Ent-
sprechendes gilt für den Jahresabschluss:
Betrachtet man den Jahresabschluss nach
HGB, dann sieht der Gesetzgeber die Gläubiger
als besonders schutzwürdig an.
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