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einem Ressourcen-Abfluss kommt. Bezüglich
des „Grads der Wahrscheinlichkeit“, findet man
für den Begriff „remote“ in der Literatur häufig
Prozentsätze in Höhe von 1%, 5% oder 10%.
Praktisch sind diese Prozentsätze allerdings in
aller Regel auch eher wenig hilfreich, denn wer
kann schon beurteilen, ob die Wahrscheinlich-
keit 4% bzw. 6% oder 8% bzw. 12% ist. Das
ist rein faktisch eine Tatfrage, die weitgehend
in das Belieben (oder besser „Ermessen“) des
bilanzierenden Unternehmens gestellt ist.
Die Eventualverbindlichkeit
ist in
IAS 37.10
definiert als
(a) eine
mögliche
Verpflichtung („possible
obligation“)
, die aus vergangenen Ereignis-
sen resultiert und deren Existenz durch das
Eintreten oder Nichteintreten eines oder
mehrerer unsicherer künftiger Ereignisse
erst noch bestätigt wird, die nicht vollständig
unter der Kontrolle des Unternehmens ste-
hen;
oder
(b) eine
gegenwärtige
Verpflichtung („pre-
sent obligation“)
, die auf vergangenen Er-
eignissen beruht, jedoch nicht angesetzt
wird, weil:
i. ein Abfluss von Ressourcen mit wirt-
schaftlichem Nutzen zur Erfüllung dieser
Verpflichtung nicht wahrscheinlich („not
probable“) ist,
oder
ii. die Höhe der Verpflichtung nicht ausrei-
chend verlässlich geschätzt werden kann.
Die
(Nicht-) Berichterstattung über Eventu-
alverbindlichkeiten
ist eines der großen Pro-
blemfelder in der Bilanzierungspraxis, wie z. B.
aus nachfolgender Fehlerfeststellung der
BaFin, die am 19.04.2011 im elektronischen
Bundesanzeiger veröffentlicht wurde, an-
schaulich wird:
Konzernjahresabschluss
zum 30. September 2009
Veröffentlichung nach § 37q Abs. 2
Satz 1 WpHG
Die Bundesanstalt für Finanzdienst-
leistungsaufsicht (BaFin) hat fest-
gesellt, dass der Konzernabschluss
der sino AG zum 30.09.2009 und
der Lagebericht und der Konzern-
Praxis mit Gewissheit sagen, dass die Wahr-
scheinlichkeit für eine Inanspruchnahme jetzt
51% oder nur 49% ist. In der
Fußnote
zu IAS
37.23 wird dann darüber hinaus auch noch
„klar“ gestellt, dass die Auslegung von „wahr-
scheinlich“ in diesem Standard als „mehr dafür
als dagegen sprechend“ nicht zwingend auf an-
dere Standards anwendbar ist! D. h. „wahr-
scheinlich“ im Sinne der IFRS ist nicht immer
zwingend „gleich wahrscheinlich“!
Zu Kriterium (c): „Verlässliche Schätzung
der Höhe der Verpflichtung“
An dieses Kriterium sind nach Auffassung des
IASB offensichtlich
keine allzu hohen Anfor-
derungen
zu stellen. Dies ergibt sich unmit-
telbar aus
IAS 37.25
. Danach sind
Schätzun-
gen per Definition ein wesentlicher Be-
standteil der Aufstellung von Abschlüssen
und beeinträchtigen daher nicht deren Ver-
lässlichkeit. Dies gilt insbesondere im Falle
von
Rückstellungen
, die
naturgemäß in hö-
herem Maße
unsicher sind, als die meisten
anderen Bilanzposten.
Von äußerst seltenen
Fällen abgesehen
dürfte ein Unternehmen
daher immer in der Lage sein, ein
Spektrum
möglicher Ergebnisse
zu bestimmen und
auch eine Schätzung der Verpflichtung vor-
nehmen zu können, die für den Ansatz einer
Rückstellung ausreichend verlässlich ist!
Nur
„in äußerst seltenen Fällen
(„in the extre-
mely rare case“) kann gemäß
IAS 37.26
eine
bestehende Schuld nicht angesetzt werden, und
zwar dann, wenn keine verlässliche Schätzung
möglich ist. Das ist aber nur für den plakativen
Fall gedacht, dass überspitzt ausgedrückt „kein
Mensch auf der Welt irgendeine halbwegs ver-
lässliche Schätzung bzw. eine Spannbreite
möglicher Schätzungen abgeben kann.“
b) Fehlen einer Voraussetzung
Mangelt es an einer dieser drei Voraussetzun-
gen von IAS 37.14 (a) – (c) ist keine Rückstel-
lung anzusetzen. Stattdessen ist gegebenen-
falls nach IAS 37.86 eine
Eventualverbind-
lichkeit („contingent liability“)
im (Konzern-)
Anhang anzugeben. Eine solche
Angabe-
pflicht einer Eventualverbindlichkeit
darf
nur dann unterbleiben, wenn es „vollkommen
unwahrscheinlich“ („
remote
“) ist, dass es zu
(leicht) anders gelagert als z. B. der Fall mit den
Kosten für den Rückbau eines Atomkraftwerks
(AKW). Auch wenn das Unternehmen das AKW
heute „vom Netz nimmt“, kann es sich den
Rückbaukosten morgen (oder irgendwann ein-
mal) nicht entziehen. Es liegt daher ein „past
event“ vor. Im Gegensatz dazu kann die Flug-
gesellschaft z. B. ihre Flugzeuge in der Wüste
von Kalifornien, Arizona oder New Mexico
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„zwischenparken“. Durch die eigenen Hand-
lungen „zwischenparken“ kann sich die Flug-
gesellschaft den Kosten für die Generalüberho-
lung entziehen. Deshalb mangelt es in diesem
Fall am
„past event“
. Eine Rückstellung darf
daher nicht angesetzt werden. Das IASB
schlägt nun aber hierfür eine andere Lösung
vor. Diese lautet wörtlich wie folgt:
„Anstatt eine Rückstellung anzusetzen
,
wird bei der
Abschreibung der Flugzeuge
der
künftige Anfall von Instandhaltungskosten be-
rücksichtigt, d. h. es wird ein Betrag in Höhe der
erwarteten Instandhaltungskosten über drei
Jahre abgeschrieben.“
Die
Lösung
des IASB ist daher der Weg über
den
Komponentenansatz
des
IAS 16
! Da
muss man zunächst einmal draufkommen.
Aber in der Tat, bei längerer Überlegung
macht diese Lösung betriebswirtschaftlich
betrachtet durchaus Sinn. Allerdings ist dies
in der Praxis „technisch“ oftmals gar nicht
so einfach abzubilden, da dies in aller Regel
entsprechende Vorkehrungen in den ERP-
Systemen erfordert.
Zu Kriterium (b): „Wahrscheinlicher
Abfluss von Ressourcen mit wirtschaft-
lichem Nutzen“
Für die Zwecke der Prüfung, ob ein Abfluss von
Ressourcen oder ein anderes Ereignis als
„wahrscheinlich“ in diesem Sinne
angese-
hen wird, wird in
IAS 37.23
definiert, dass
„wahrscheinlich“ bzw.
„probable“
dann vor-
liegt,
wenn mehr dafür als dagegen spricht
,
d. h. die Wahrscheinlichkeit, dass das Ereignis
eintritt, ist größer als die Wahrscheinlichkeit,
dass es nicht eintritt. Die
Wahrscheinlichkeit
muss danach größer als 50% sein. Theoretisch
ist diese „größer als 50%-Regel“ natürlich von
einigem Gehalt, praktisch ist diese hingegen
nicht unbedingt hilfreich. Wer kann schon in der
Bilanzierung von Rückstellungen nach IFRS, HGB und Bilanzsteuerrecht