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          verfehlen. Deshalb sollte man die „Kirche im
        
        
          Dorf“ lassen: Auch wenn die Inhalte des Lage-
        
        
          berichts sehr heterogen sind, sollte er in erster
        
        
          Linie und am besten ausschließlich eine
        
        
          Infor-
        
        
          mationsfunktion
        
        
          erfüllen. Er soll demnach
        
        
          Aufschlüsse, also Informationen,
        
        
          a)  über gegenwärtige Verhältnisse, z. B. die
        
        
          Unternehmenssituation in der Branche und
        
        
          im erweiterten Umfeld, und
        
        
          b)  über die voraussichtliche wirtschaftliche
        
        
          Entwicklung in der Zukunft geben – dies hat
        
        
          jeweils aus Sicht der Unternehmensleitung
        
        
          zu erfolgen.
        
        
          Biel:
        
        
          Und wie steht es mit den Informationen,
        
        
          die sich nicht sachgerecht aus dem Jahresab-
        
        
          schluss ergeben bzw. ergeben können?
        
        
          Brösel:
        
        
          Wenn sich diese Informationen nicht
        
        
          bereits aus dem Jahresabschluss ergeben,
        
        
          wird ein Jahresabschluss aufgrund der dem
        
        
          Lagebericht innewohnenden Informationsfunk-
        
        
          tion natürlich um diese, wie etwa mit Ausfüh-
        
        
          rungen zu Chancen und Risiken, ergänzt. Das
        
        
          liegt aber in der Natur der Sache – wenn man
        
        
          dem Lagebericht unbedingt eine
        
        
          Ergänzungs-
        
        
          funktion
        
        
          zusprechen möchte, dann ergibt sich
        
        
          diese lediglich aus den in Anbetracht der Infor-
        
        
          mationsfunktion zur Verfügung gestellten zu-
        
        
          sätzlichen Informationen. Dies gilt ebenso für
        
        
          die Rechenschaftsfunktion: Wenn ich die Infor-
        
        
          mationen zur Forschung und Entwicklung als
        
        
          solche im Sinne einer Rechenschaft interpretie-
        
        
          re, dann kann diese Funktion selbstverständlich
        
        
          auch herhalten – allerdings wieder nur unter
        
        
          dem Deckmantel der Informationsfunktion.
        
        
          Biel:
        
        
          Sonst stehen wir vor einem Dilemma?
        
        
          Brösel:
        
        
          Ja, wenn wir dem Lagebericht zu viele
        
        
          Funktionen zuordnen, mündet es in dem „alten“
        
        
          Dilemma: Die Quantität, die Bedienung mög-
        
        
          lichst vieler oder aller Funktionen, ginge zulas-
        
        
          ten der Qualität des Lageberichts.
        
        
          Biel:
        
        
          Bitte lassen Sie mich fragen, ist der Lage-
        
        
          bericht etwas Konstantes und Stabiles, oder
        
        
          unterliegt oder unterlag er Anpassungen und
        
        
          Veränderungen, weil das eine oder andere nicht
        
        
          passte?
        
        
          Freichel:
        
        
          Zu keinem Rechnungslegungsinst-
        
        
          rument wurden in Deutschland in den letz-
        
        
          ten Jahren die Regelungen häufiger geän-
        
        
          dert als im Hinblick auf den Lagebericht.
        
        
          Der
        
        
          Lageberichtsinhalt wurde mehrmals umfassend
        
        
          erweitert und neu strukturiert. Davon sind in
        
        
          erster Linie der Prognose-, der Risiko- sowie der
        
        
          Chancenbericht betroffen. In der Vergangenheit
        
        
          glich die Lageberichterstattung bei manchen
        
        
          Unternehmen einem „Besinnungsaufsatz“.
        
        
          Biel:
        
        
          Wie bewerten Sie die Qualität? Was soll
        
        
          den Lagebericht auszeichnen?
        
        
          Freichel:
        
        
          Gegenwärtig ist
        
        
          von einer an-
        
        
          spruchsvollen Lageberichterstattung
        
        
          auszugehen
        
        
          . Der Lagebericht muss eine
        
        
          ausgewogene – dem Umfang und der Kom-
        
        
          plexität der Geschäftstätigkeit entsprechende
        
        
          – Analyse des Geschäftsverlaufs und der
        
        
          Lage der Gesellschaft enthalten und
        
        
          zeich-
        
        
          net sich vor allem durch seine prognose-
        
        
          orientierte Ausrichtung aus.
        
        
          Zudem hat die
        
        
          Geschäftsführung im Lagebericht die Vermö-
        
        
          gens-, Finanz- und Ertragslage zur wirt-
        
        
          schaftlichen Gesamtlage der Gesellschaft
        
        
          zu verdichten und sollte darlegen, wie sie
        
        
          die Stellung und Entwicklung der Gesellschaft
        
        
          im Vergleich zum Gesamtmarkt und ihrem
        
        
          unmittelbaren wirtschaftlichen Umfeld ein-
        
        
          schätzt.
        
        
          Biel:
        
        
          Wer erstellt und verantwortet den Lage-
        
        
          bericht?
        
        
          Freichel:
        
        
          Diese Tätigkeit muss die Geschäfts-
        
        
          führung selbst durchführen. Dies kann sie
        
        
          nicht delegieren, aber sie kann sich zuarbeiten
        
        
          lassen.
        
        
          Biel:
        
        
          Wenn Sie Jahresabschluss und Lagebe-
        
        
          richt hinsichtlich ihres jeweiligen Informations-
        
        
          charakters vergleichen, zu welchem Ergebnis
        
        
          finden Sie?
        
        
          Freichel:
        
        
          Ja, an dieser Stelle wird ein Unter-
        
        
          schied zu den Informationen im Jahresab-
        
        
          schluss deutlich. Es ist im
        
        
          Lagebericht das
        
        
          subjektive Risikokalkül
        
        
          der Unternehmens-
        
        
          leitung durch Einbeziehung verbaler sowie pro-
        
        
          gnoseorientierter Informationen gefragt.
        
        
          Biel:
        
        
          Herr Freichel, und wie sehen Sie den Lage-
        
        
          bericht zweck- und zielbezogen?
        
        
          
            Autoren
          
        
        
          Univ.-Prof. Dr. rer. pol. habil. Gerrit Brösel
        
        
          ist Ordinarius für BWL, insbesondere Wirtschaftsprüfung, an
        
        
          der FernUniversität in Hagen und Autor mehrerer erfolgreicher
        
        
          Standardlehrbücher (z. B. „Bilanzanalyse“, „Konzernrech-
        
        
          nungslegung“ und „Wirtschaftliches Prüfungswesen“) mit
        
        
          reichhaltiger Praxiserfahrung in der Wirtschaftsprüfung sowie
        
        
          als öffentlich bestellter und vereidigter Sachverständiger für
        
        
          Unternehmensbewertung.
        
        
          Fachjournalist (DFJS) Dipl.-BW Alfred Biel
        
        
          ist Autor, Interviewer und Rezensent verschiedener Medien,
        
        
          vorwiegend der Haufe Mediengruppe, mit reichhaltiger Erfah-
        
        
          rung aus verantwortlichen Konzern-Tätigkeiten und Aufgaben
        
        
          in mittelständischen Unternehmen. Betriebswirtschaftliches
        
        
          und journalistisches Studium. Ehrenmitglied des Deutschen
        
        
          Fachjournalisten Verbandes (DFJV) und des Internationalen
        
        
          Controller Vereins (ICV).
        
        
          WP StB FBIStR Dipl.-Kfm. Christoph Freichel
        
        
          ist Geschäftsführer der Alegis GmbH Wirtschaftsprüfungsge-
        
        
          sellschaft und der Primus Akademie GmbH Wirtschaftsprü-
        
        
          fungsgesellschaft sowie Doktorand an der FernUniversität in
        
        
          Hagen. Zudem ist er Autor des Lehrbuchs „Wirtschaftliches
        
        
          Prüfungswesen“.
        
        
          
            Interview zum Thema: Lagebericht – noch ein Bericht?