CONTROLLER Magazin 1/2016 - page 38

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verfehlen. Deshalb sollte man die „Kirche im
Dorf“ lassen: Auch wenn die Inhalte des Lage-
berichts sehr heterogen sind, sollte er in erster
Linie und am besten ausschließlich eine
Infor-
mationsfunktion
erfüllen. Er soll demnach
Aufschlüsse, also Informationen,
a) über gegenwärtige Verhältnisse, z. B. die
Unternehmenssituation in der Branche und
im erweiterten Umfeld, und
b) über die voraussichtliche wirtschaftliche
Entwicklung in der Zukunft geben – dies hat
jeweils aus Sicht der Unternehmensleitung
zu erfolgen.
Biel:
Und wie steht es mit den Informationen,
die sich nicht sachgerecht aus dem Jahresab-
schluss ergeben bzw. ergeben können?
Brösel:
Wenn sich diese Informationen nicht
bereits aus dem Jahresabschluss ergeben,
wird ein Jahresabschluss aufgrund der dem
Lagebericht innewohnenden Informationsfunk-
tion natürlich um diese, wie etwa mit Ausfüh-
rungen zu Chancen und Risiken, ergänzt. Das
liegt aber in der Natur der Sache – wenn man
dem Lagebericht unbedingt eine
Ergänzungs-
funktion
zusprechen möchte, dann ergibt sich
diese lediglich aus den in Anbetracht der Infor-
mationsfunktion zur Verfügung gestellten zu-
sätzlichen Informationen. Dies gilt ebenso für
die Rechenschaftsfunktion: Wenn ich die Infor-
mationen zur Forschung und Entwicklung als
solche im Sinne einer Rechenschaft interpretie-
re, dann kann diese Funktion selbstverständlich
auch herhalten – allerdings wieder nur unter
dem Deckmantel der Informationsfunktion.
Biel:
Sonst stehen wir vor einem Dilemma?
Brösel:
Ja, wenn wir dem Lagebericht zu viele
Funktionen zuordnen, mündet es in dem „alten“
Dilemma: Die Quantität, die Bedienung mög-
lichst vieler oder aller Funktionen, ginge zulas-
ten der Qualität des Lageberichts.
Biel:
Bitte lassen Sie mich fragen, ist der Lage-
bericht etwas Konstantes und Stabiles, oder
unterliegt oder unterlag er Anpassungen und
Veränderungen, weil das eine oder andere nicht
passte?
Freichel:
Zu keinem Rechnungslegungsinst-
rument wurden in Deutschland in den letz-
ten Jahren die Regelungen häufiger geän-
dert als im Hinblick auf den Lagebericht.
Der
Lageberichtsinhalt wurde mehrmals umfassend
erweitert und neu strukturiert. Davon sind in
erster Linie der Prognose-, der Risiko- sowie der
Chancenbericht betroffen. In der Vergangenheit
glich die Lageberichterstattung bei manchen
Unternehmen einem „Besinnungsaufsatz“.
Biel:
Wie bewerten Sie die Qualität? Was soll
den Lagebericht auszeichnen?
Freichel:
Gegenwärtig ist
von einer an-
spruchsvollen Lageberichterstattung
auszugehen
. Der Lagebericht muss eine
ausgewogene – dem Umfang und der Kom-
plexität der Geschäftstätigkeit entsprechende
– Analyse des Geschäftsverlaufs und der
Lage der Gesellschaft enthalten und
zeich-
net sich vor allem durch seine prognose-
orientierte Ausrichtung aus.
Zudem hat die
Geschäftsführung im Lagebericht die Vermö-
gens-, Finanz- und Ertragslage zur wirt-
schaftlichen Gesamtlage der Gesellschaft
zu verdichten und sollte darlegen, wie sie
die Stellung und Entwicklung der Gesellschaft
im Vergleich zum Gesamtmarkt und ihrem
unmittelbaren wirtschaftlichen Umfeld ein-
schätzt.
Biel:
Wer erstellt und verantwortet den Lage-
bericht?
Freichel:
Diese Tätigkeit muss die Geschäfts-
führung selbst durchführen. Dies kann sie
nicht delegieren, aber sie kann sich zuarbeiten
lassen.
Biel:
Wenn Sie Jahresabschluss und Lagebe-
richt hinsichtlich ihres jeweiligen Informations-
charakters vergleichen, zu welchem Ergebnis
finden Sie?
Freichel:
Ja, an dieser Stelle wird ein Unter-
schied zu den Informationen im Jahresab-
schluss deutlich. Es ist im
Lagebericht das
subjektive Risikokalkül
der Unternehmens-
leitung durch Einbeziehung verbaler sowie pro-
gnoseorientierter Informationen gefragt.
Biel:
Herr Freichel, und wie sehen Sie den Lage-
bericht zweck- und zielbezogen?
Autoren
Univ.-Prof. Dr. rer. pol. habil. Gerrit Brösel
ist Ordinarius für BWL, insbesondere Wirtschaftsprüfung, an
der FernUniversität in Hagen und Autor mehrerer erfolgreicher
Standardlehrbücher (z. B. „Bilanzanalyse“, „Konzernrech-
nungslegung“ und „Wirtschaftliches Prüfungswesen“) mit
reichhaltiger Praxiserfahrung in der Wirtschaftsprüfung sowie
als öffentlich bestellter und vereidigter Sachverständiger für
Unternehmensbewertung.
Fachjournalist (DFJS) Dipl.-BW Alfred Biel
ist Autor, Interviewer und Rezensent verschiedener Medien,
vorwiegend der Haufe Mediengruppe, mit reichhaltiger Erfah-
rung aus verantwortlichen Konzern-Tätigkeiten und Aufgaben
in mittelständischen Unternehmen. Betriebswirtschaftliches
und journalistisches Studium. Ehrenmitglied des Deutschen
Fachjournalisten Verbandes (DFJV) und des Internationalen
Controller Vereins (ICV).
WP StB FBIStR Dipl.-Kfm. Christoph Freichel
ist Geschäftsführer der Alegis GmbH Wirtschaftsprüfungsge-
sellschaft und der Primus Akademie GmbH Wirtschaftsprü-
fungsgesellschaft sowie Doktorand an der FernUniversität in
Hagen. Zudem ist er Autor des Lehrbuchs „Wirtschaftliches
Prüfungswesen“.
Interview zum Thema: Lagebericht – noch ein Bericht?
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