CONTROLLER Magazin 1/2016 - page 18

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Die Frage klingt trivial, ist es aber bei näherem
Hinsehen nicht. Das hat mit der Unsicherheit
einer Investition ebenso zu tun wie damit, wie
man mit einem Misserfolg umgeht – bei sich
selbst und bei anderen.
Investitionen zu beurteilen, ist mehr oder weni-
ger Tagesgeschäft der Controller. Sie verwen-
den dazu Standardinstrumente,
insbesondere
die Kapitalwertrechnung
. Die Investitionsvor-
haben werden von der Linie vorbereitet. Cont-
roller schauen über die Zahlen und Annahmen;
sie sichern die Rationalität der Entschei-
dung.
Die Unsicherheit der Zukunft berück-
sichtigt man heute nicht mehr nur durch einen
entsprechenden Diskontierungszinssatz, son-
dern auch durch Simulationen; es werden also
nicht nur die Erwartungswerte der Zahlungs-
ströme geplant, sondern zumindest Worst- und
Best-Case-Szenarien als Ergänzung geliefert.
Auf dieser Basis lässt es sich angemessen ent-
scheiden.
Eine gute Vorbereitung muss aber nicht dazu
führen, dass die Investition wirklich ein Erfolg
für das Unternehmen wird. Dazu ist die Unsi-
cherheit zu groß. Diese ist schon in der Planung
bekannt: Das Worst-Case-Szenario von Investi-
tionsvorhaben ist häufig „unter Null“, liefert also
einen negativen Kapitalwert. Nur ist das Eintre-
ten dieses Falles sehr unwahrscheinlich. Des-
halb wird die Planung akzeptiert, wenn im Fall
des Worst Case nicht das Überleben des Unter-
nehmens in Frage gestellt wird.
Konkretisieren wir nun die gestellte Frage: Eine
Investition bewegt sich in ihrer Realisierung in-
nerhalb des vorgeplanten Korridors, erzielt aber
einen Kapitalwert kleiner als Null. Frage: Sollte
man hier von einer Fehlinvestition sprechen
oder nicht? Diese Frage haben wir kürzlich mit
den Konzerncontrollern in unserem Center for
Controlling & Management an der WHU aus-
führlich diskutiert. Die überwiegende Meinung
war ja:
Alles, was einen negativen Kapital-
wert hat, war in den Augen der Controller
eine Fehlinvestition.
Nur wenige gegenteilige
Stimmen waren zu hören.
Das Ganze wäre eine rein akademische Diskussi-
on, wenn nicht mit der Bezeichnung dieser Situati-
on Verhaltenswirkungen verbunden wären: Wer ist
schon gerne für eine Fehlinvestition verantwort-
lich? Auch wenn er letztlich nichts dafür kann,
sondern der Zufall (die Verteilung) zugeschlagen
hat? Gilt man dann als Verlierer, als ein schlechter
Manager? Der Reflex ist groß, es so zu sehen: Eine
Fehl
investition
ist eine Fehl
entscheidung
.
Interessanterweise gibt es Bereiche, in denen
der Begriff meines Wissens nach so nicht ver-
wendet wird. Betrachten wir als Beispiel den
Forschungsbereich eines pharmazeutischen
Unternehmens. Hier werden immer diverse
Projekte gleichzeitig durchgeführt, um neue
Wirkstoffe zu entwickeln. Von diesen bringen
es aber nur ganz wenige bis zur Marktreife. Di-
verse Stufen sind zu erklimmen, an denen die
meisten Projekte scheitern. Jedes Einzelprojekt
hat also eine sehr geringe Erfolgsquote. Die
Beurteilung und Steuerung eines solchen For-
schungsbereichs erfolgt nicht einzelprojekt-
bezogen, sondern in einer Portfoliobetrachtung.
Solange ein bestimmtes Verhältnis zwischen
gescheiterten und gelungenen Entwicklungen
eingehalten wird, ist der Bereich erfolgreich,
sonst liegt eine Form von Misserfolg vor.
Was bedeutet das für unsere Frage? Wenn von
einer Fehlinvestition gesprochen wird, ruft das
die unmittelbare Assoziation zu einem Fehler
hervor, etwas Schuldhaftem, Vermeidbarem.
Fehler dieser Art sind aber nur in einer sicheren
Welt „schlimm“.
In einer Welt von Unsicher-
heit stellt die Abweichung vom Erwartungs-
wert eher die Regel denn die Ausnahme
dar.
Trotz negativem Kapitalwert muss also nie-
mand einen Fehler gemacht haben. Bei singulä-
ren, großen Investitionsmaßnahmen darf man
keine Investition zulassen, wenn das Worst-
Case-Szenario das Unternehmen gefährdet.
Sonst beginge man in der Tat einen Fehler. Bei
vielen parallelen kleineren Investitionen muss
man eher zu einer Portfolio-Betrachtung wech-
seln. Bei einigen wird man Glück haben, bei an-
deren Pech. Dies ist nicht vorhersagbar. Es liegt
im Charakter von Unsicherheit begründet.
Wenn dieser Zusammenhang jedem geläufig ist,
bereitet der Begriff Fehlinvestition kein Problem.
Wenn damit aber Fehler von Einzelnen verbun-
den werden, sollte die Bezeichnung überdacht
werden. Menschen sind ungern Verlierer.
Was ist eigentlich eine
Fehlinvestition?
von Jürgen Weber
Autor
Prof. Dr. Dr. h.c. Jürgen Weber
ist Direktor des Instituts für Management und Controlling (IMC)
der WHU – Otto Beisheim School of Management Campus
Vallendar, Burgplatz 2, D-56179 Vallendar;
controlling. Er ist zudem Vorsitzender des Kuratoriums des
Internationalen Controller Vereins (ICV).
E-Mail:
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