personalmagazin bAVspezial 4/2017 - page 23

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muss das Unternehmen aufgrund des
derzeit um rund zwei Prozent höheren
steuerlichen Zinses einen Gewinn von
100.000 Euro versteuern – obwohl es
diesen tatsächlich gar nicht erzielt hat.
Verfassungswidrige Besteuerung?
„Den Unternehmen fehlt es dadurch an
Liquidität, weil sie zu viel Geld ans Fi-
nanzamt abführen müssen. Also schie-
ben sie Investitionen auf oder verzich-
ten ganz auf sie“, sagt Tobias Hentze
vom Institut der deutschen Wirtschaft
Köln. Nach Einschätzung des Steuerex-
perten gefährdet dies Arbeitsplätze und
könnte Unternehmen im schlimmsten
Fall in die Insolvenz treiben. „Mittler-
weile gehen Experten davon aus, dass
diese Praxis verfassungswidrig ist“,
betont der Mercer-Chefaktuar Thomas
Hagemann und verweist auf Veröffent-
lichungen von Steuerrechtlern wie Prof.
Dr. Heribert M. Anzinger oder Prof Dr.
Ulrich Prinz. Auf 16 Milliarden Euro be-
ziffert die Beratungsgesellschaft die Ein-
nahmeausfälle des Bundes, würde der
steuerrechtliche Zinssatz schlagartig
auf das Niveau des handelsrechtlichen
abgesenkt werden. Beide betonen aber,
dass sich die Auswirkungen durch eine
Übergangsregelung zeitlich strecken
ließen und so für den Fiskus erträglich
wären. Ohne eine Änderung könne sich
im Niedrigzinsumfeld der Unterschied
in der Besteuerung jedoch verdoppeln.
Gedreht hat die Bundesregierung
bislang am HGB-Rechnungszins: Seit
rund einem Jahr wird der Zinssatz auf
Basis eines zehnjährigen Durchschnitts
berechnet. Dennoch muss der bisher
maßgebliche siebenjährige Durch-
schnittszinssatz weiter angewendet und
der Differenzbetrag aus beiden Zinssät-
zen unter der Bilanz oder als Bilanz-An-
hang ausgewiesen werden. Ein positiver
Betrag unterliegt dann einer Ausschüt-
tungssperre, muss also als Rücklage im
Unternehmen verbleiben. Hagemann
nennt eine Ausnahme: „Sind ausrei-
chend Rücklagen aus der Vergangenheit
vorhanden, kann der gesamte Gewinn
des laufenden Jahres, einschließlich die-
ses Zinsänderungseffekts, ausgeschüttet
werden.“ Ein Vergleich der Zinsverläufe
zeigt, dass die Belastung der Unterneh-
men in den nächsten Jahren tatsächlich
abgefedert wird (siehe Grafik). Der Steu-
erexperte empfiehlt daher zumindest ei-
ne stärkere Ausweitung des Zeitraumes
auf 15 bis 20 Jahre. Würden zusätzliche
Jahre mit höheren Zinssätzen in die Be-
rechnung einbezogen, könnte die Absen-
kung des HGB-Rechnungszinses noch
stärker begrenzt werden.
HGB-Zins sinkt auf unter zwei Prozent
Es bedarf also keiner Kristallkugel, um
die künftigen Belastungen zu ermitteln.
„In den kommenden beiden Jahren wird
der HGB-Rechnungszins stark fallen
und dann bis 2021 langsamer auf un-
ter zwei Prozent absinken“, sagt Hei-
ko Gradehandt, Bereichsleiter bAV bei
Willis Towers Watson. Entsprechend
stark wird der Finanzierungsbedarf in
den Unternehmen weiter ansteigen.
Bereits in den Jahren 2008 bis 2014
haben sich die Rückstellungen in den
Unternehmen nach IW-Berechnungen
von knapp 22.000 Euro auf 37.000 Euro
pro Kopf erhöht. Schon der Rückgang
des Zinssatzes um einen Prozentpunkt
treibt die Pensionsrückstellungen zwi-
schen 14 und 17 Prozent in die Höhe.
Entsprechend verschlechtern sich die
Ertragssituation, Eigenkapitalquote und
Liquidität. Gleichzeitig wird der betrieb-
liche Cashflow durch künftig ansteigen-
de Rentenzahlungen belastet. „Unter-
nehmen sollten sich jetzt Klarheit über
ihre betriebliche Situation verschaffen“,
sagt Gradehandt und fügt hinzu: „Spä-
ter dürfte der Schmerz aufgrund dann
unerwartet hoher Pensionsverpflichtun-
gen größer sein.“
Auf dieser Basis geht es dann um eine
grundsätzliche Weichenstellung: Sollen
die Pensionsverpflichtungen weiter aus
dem eigenen Unternehmen heraus er-
bracht werden oder nicht? Überwiegend
war diese Innenfinanzierung neben Steu-
ervorteilen schon vor Jahrzehnten die
Motivation, Direktzusagen zu vereinba-
ren – und ist es angesichts anhaltender
Minizinsen noch heute. Gradehandt
liefert ein Beispiel: Ein Unternehmen
investiert Pensionsverpflichtungen im
Umfang von einer Million Euro in den
Kauf einer Maschine mit der Erwartung,
dass hierdurch für die nächsten zehn
Jahre eine jährliche Unternehmensren-
dite von drei Prozent erzielt wird. Damit
würde es den in zehn Jahren zu erwar-
tenden Rechnungszins übertreffen und
könnte den überschießenden Teil frei
31.12.2015 31.12.2016 31.12.2017 31.12.2018 31.12.2019 31.12.2020 31.12.2021
Der Vergleich zeigt deutlich: Der Rückgang des HGB-Rechnungszinses wird auf Basis von
zehn Jahren (orangene Kurve) zwar abgefedert, aufzuhalten ist er jedoch nicht.
QUELLE MERCER
ENTWICKLUNGSPROGNOSE
Aufwand aus Zinsänderung,
bisherige Gesetzesfassung
Aufwand aus Zinsänderung,
neue Gesetzesfassung
Zins, bisherige Gesetzesfassung
(7 Jahres Durchschnitt)
Zins, neue Gesetzesfassung
(10 Jahres Durchschnitt)
3,89%
4.04%
3,71%
3,24%
2,83%
2,53%
2,20%
3,28%
2,85%
2,38%
2,13%
1,93% 1,82%
1...,13,14,15,16,17,18,19,20,21,22 24,25,26,27,28,29,30,31,32,33,...36
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