wirtschaft und weiterbildung 6/2018 - page 30

personal- und organisationsentwicklung
30
wirtschaft + weiterbildung
06_2018
Gründe, warum der Mitarbeiter einen
Arbeitgeberwechsel erwägen könnte, zu
erkunden, um diese dann eventuell auf-
zulösen.
Reaktion 3:
Der Mitarbeiter sagt, er er-
wäge es, den Arbeitgeber zu wechseln.
Dann sollten Sie dem Mitarbeiter zu-
nächst für seine Offenheit danken und
zum Ausdruck bringen, dass Sie dies als
einen Vertrauensbeweis von ihm sehen
und entsprechend mit dieser Information
umgehen werden. Danach sollten Sie sich
detailliert nach den Motiven für den an-
gedachten Wechsel erkundigen, bevor Sie
ihn fragen: „Was kann ich beziehungs-
weise kann das Unternehmen tun, damit
Sie bleiben – denn wie bereits gesagt: Sie
sind ein wertvoller Mitarbeiter!“
Die Wunschliste des Mitarbeiters können
Sie als dessen Chef oder Vorgesetzter auf-
nehmen und vorsichtig kommentieren,
wenn ein Aspekt unmöglich erfüllt wer-
den kann. In der Praxis zeigt sich: Man-
gelnde Wertschätzung, eine schlechte
Team- und Arbeitsatmosphäre sowie
mangelnde Befriedigung bei der Arbeit
sind, wenn es um das Halten und Binden
insbesondere hoch qualifizierter Mitarbei-
ter geht, meist größere Probleme als die
Höhe des Gehalts – auch wenn Führungs-
kräfte oft das Gegenteil betonen. Mit ein,
zwei Geldscheinen mehr kann man spe-
ziell intrinsisch motivierte Mitarbeiter,
die auch Erfüllung in ihrer Arbeit suchen,
nicht langfristig binden.
Reaktion 4:
Der Mitarbeiter sagt, er sei
fest entschlossen, den Job beziehungs-
weise Arbeitgeber zu wechseln. Auch
dann sollten Sie dem Mitarbeiter zu-
nächst für seine Offenheit danken und
seine Motive hierfür erkunden. Zuweilen
gibt es hierfür persönliche Gründe: Zum
Beispiel ein Arbeitnehmer hat sich un-
sterblich verliebt und möchte deshalb in
eine andere Stadt ziehen. Dann können
Sie ihm eigentlich nur gratulieren und
alles Gute wünschen. Anders ist es, wenn
ein Mitarbeiter sagt, ein Familienmitglied
sei ein dauerhafter Pflegefall geworden
oder er selbst habe gesundheitliche Pro-
bleme, weshalb er seinen herausfordern-
den Job auf Dauer nicht mehr machen
könne oder wolle. Dann haben Sie nur
die Alternative, ihn ziehen zu lassen oder
mit ihm auszuloten, welche Job-Alterna-
tiven es in der eigenen Organisation gibt.
Anders ist die Situation, wenn der Grund
für den geplanten Wechsel in der aktuel-
len Arbeitssituation begründet ist. Zum
Beispiel im schlechten Arbeitsklima. Oder
der hohen Arbeitsbelastung. Oder den
wenig befriedigenden Arbeitsinhalten.
Oder der schlechten Bezahlung und den
geringen Aufstiegs- und Entwicklungs-
chancen. Dann hat sich, wenn ein Mit-
arbeiter offen sagt „Ich gehe“, obwohl er
noch keinen neuen Job hat, meist schon
viel Frust und Enttäuschung bei ihm auf-
gestaut. Entsprechend schwer ist es, den
Mitarbeiter noch zum Bleiben zu bewe-
gen. Trotzdem sollten Sie es bei wertvol-
len Mitarbeitern versuchen – selbst wenn
Sie dann oft mit einer massiven Kritik an
Ihrem Führungsstil und -verhalten rech-
nen müssen, denn Unzufriedenheit mit
dem Vorgesetzten ist ein sehr häufiger
Grund für einen Arbeitgeberwechsel (bis
zu 68 Prozent).
Dampf ablassen lassen hilft in
vielen Gesprächssituationen
Fragen Sie also auch in dieser Situation
den Mitarbeiter nach seinen Wechselmo-
tiven – auch auf die Gefahr hin, dass sich
dann zunächst ein Schwall von aus Ihrer
Warte unberechtigten oder überzogenen
Beschwerden und Beschuldigungen über
Sie ergießt. Hören Sie sich diese ruhig
und geduldig an und sagen Sie dann zum
Beispiel: „Ich merke, bei Ihnen hat sich
mit der Zeit eine Menge Unmut und Frust
angestaut.“ Vermutlich erwidert der Mit-
arbeiter daraufhin „Ja“, woraufhin Sie
zum Beispiel sagen können: „Es tut mir
leid, dass ich dies nicht früher registriert
und darüber mit Ihnen gesprochen habe.
Denn für mich sind Sie ein wertvoller
Mitarbeiter, und ich würde deshalb gerne
weiter mit Ihnen zusammenarbeiten.
Unter welchen Voraussetzungen könnten
Sie sich vorstellen, Ihre Entscheidung zu
überdenken?“
Versuchen Sie also, nachdem der Mit-
arbeiter Dampf abgelassen hat, das Ge-
spräch in ein ruhigeres Fahrwasser zu
lenken – unter anderem, indem Sie Ihrem
Gegenüber Ihre Wertschätzung als Mitar-
beiter und Mensch signalisieren. Danach
sollten Sie versuchen, mit dem Mitarbei-
ter herauszuarbeiten, unter welchen Vo-
raussetzungen er sich vorstellen könnte,
dem Unternehmen treu zu bleiben und
inwieweit diese Bedingungen von Ihnen
beziehungsweise dem Unternehmen er-
füllbar sind.
Hierüber eine Einigung zu erzielen, ist in
einem Gesprächstermin oft nicht mög-
lich – sei es, weil Sie zum Beispiel mit
Kollegen oder Vorgesetzten noch darü-
ber sprechen müssen, inwieweit gewisse
Wünsche oder Erwartungen erfüllbar
sind. Oder weil der Mitarbeiter auf Ihre
Frage, unter welchen Bedingungen er sich
ein Bleiben vorstellen könnte, noch keine
Antwort weiß oder über die Möglichkei-
ten nochmals mit seinem Lebenspartner
sprechen möchte. Dann sollten Sie gegen
Ende des Gesprächs als positives Ge-
sprächsergebnis zunächst festhalten:
„Schön, wir sind beide noch gesprächs-
bereit“. Danach sollten Sie in einem Er-
gebnisprotokoll, das beide unterschrei-
ben, festlegen, wer was bis wann mit
welchem Ziel tut, und einen Termin ver-
einbaren, bei dem sie sich erneut zusam-
mensetzen, um zu einem Agreement zu
gelangen.
Nicht selten lassen sich durch ein solches
Vorgehen Mitarbeiter, die einen Arbeit-
geberwechsel erwägen oder sich mental
hierfür bereits entschieden haben, auch
emotional wieder ans Unternehmen bin-
den. Deshalb lohnt sich ein solcher Ver-
such nicht nur in Zeiten, in denen gute
Mitarbeiter rar sind. Denn durch jede
R
Joachim
Schönberger
arbeitet als Bera-
ter und Coach
für die Conciliat
GmbH, die als Tochterunternehmen
der Contaplus SA, der führenden Per-
sonalberatung im Finanz- und Rech-
nungswesen in der Schweiz, gegrün-
det wurde. Schönberger ist Spezialist
für Personalentwicklung, Outplace-
ment und betriebliches Gesundheits-
management.
Conciliat GmbH
Rotebühlplatz 1, 70178 Stuttgart
Tel. 0711 2245180
AUTOR
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