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wirtschaft + weiterbildung
06_2018
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eine eventuell beabsichtigte Kündigung
von ihm haben? Warum könnte er ge-
neigt sein, sich eine Job-Alternative zu
suchen? Was weiß ich über seine Prä-
ferenzen und Ziele im Beruf sowie sein
Privatleben?“ Manchmal ist die Erkennt-
nis dieser Selbstbefragung ernüchternd –
zum Beispiel, dass das Unternehmen dem
Mitarbeiter keine angemessene Entwick-
lungsperspektive bieten kann. Oder, dass
aufgrund der quälenden Zusammenar-
beit in den zurückliegenden Monaten das
„Tischtuch“ endgültig zerschnitten ist.
Dann empfiehlt sich, den Mitarbeiter zie-
hen zu lassen – so schade und teuer dies
aufgrund der damit verbundenen Stel-
lenvakanz auch ist. Angenommen, dies
ist nicht der Fall. Dann sollten Sie den
Mitarbeiter zu einem Bleibe-Gespräch
einladen. Sprechen Sie diese Einladung
auf keinen Fall spontan oder en passant
auf dem Flur oder in der Kantine aus. Am
besten gehen Sie zu ihm, wenn er alleine
ist, und bitten ihn um ein persönliches
Gespräch. Vermutlich fragt er daraufhin:
„Warum?“. Nennen Sie den Anlass nicht.
Erwidern Sie stattdessen zum Beispiel
mit einem freundlichen Lächeln „Nichts
Schlimmes, doch darüber würde ich
gerne in Ruhe mit Ihnen unter vier Augen
sprechen“ und vereinbaren Sie hierfür
einen Termin. Das Bleibe-Gespräch sollte
in einem Raum geführt werden, der Ruhe
und Vertraulichkeit gewährleistet. Und
nehmen Sie sich hierfür Zeit, denn sol-
che Gespräche nehmen oft einen unver-
hofften Verlauf. Zum Beispiel, wenn der
Beschäftigte „auspackt“ und Ihnen Dinge
erzählt, die Sie zuvor nicht wussten.
Das Gespräch professionell
beginnen
Teilen Sie zu Beginn des Bleibe-Gesprächs
dem Mitarbeiter zunächst Ihre Gedanken
und Befürchtungen kurz mit. Denn der
Mitarbeiter kennt den Gesprächsanlass
ja noch nicht. Reden Sie dabei nicht um
den heißen Brei herum. Vermeiden Sie
lange Vorreden und Smalltalk, kommen
Sie gleich zum Thema.
Beginnen Sie das Gespräch jedoch kei-
nesfalls mit einer Aussage wie „Ich habe
gehört, dass Sie erwägen, das Unterneh-
men zu verlassen“, denn dann fragt der
Mitarbeiter fast automatisch zurück:
„Von wem?“. Und schon sind Sie in Teu-
fels Küche. Einfach ist der Einstieg, wenn
der Mitarbeiter um ein Zwischenzeugnis
bat. Denn dahinter steckt in der Regel der
Wunsch, sich beruflich zu verändern. An-
sonsten empfiehlt es sich, mit einer Ich-
Aussage ins Gespräch einzusteigen, also
zum Beispiel mit folgenden Sätzen:
• „Ich hatte in der letzten Zeit den Ein-
druck, dass Sie sich zurückziehen. Des-
halb befürchte ich, dass Sie sich mental
von uns verabschieden.“
• „Ich musste Ihnen in den letzten Mona-
ten primär stressige Aufgaben übertra-
gen. Deshalb befürchte ich, dass sich
bei Ihnen Unzufriedenheit angestaut
hat und Sie erwägen könnten, das Un-
ternehmen zu verlassen.“
• „Unser Unternehmen ist zurzeit in
einem großen Umbruch. Deshalb be-
fürchte ich, dass Sie den Eindruck
haben könnten, Ihr Arbeitsplatz bei
uns sei nicht sicher und Sie sich des-
halb nach einer Job-Alternative um-
schauen könnten.“
Starten Sie also mit einer Ich-Aussage und
äußern Sie dann Ihr Bedauern, falls Ihre
Befürchtungen zuträfen: „Das fände ich
schade, weil ich Sie als Mitarbeiter und
Mensch sehr schätze und deshalb gerne
halten möchte.“ Warten Sie anschließend,
auch wenn es Ihnen schwerfällt, ab, bis
der Mitarbeiter antwortet und hören Sie
ihm geduldig zu, was er Ihnen zu sagen
hat. Stellen Sie maximal Verständnis
fragen.
Vier mögliche Mitarbeiter-
Reaktionen
Auf den Vorstoß des interessierten Vorge-
setzten gibt es vier mögliche Mitarbeiter-
reaktionen:
Reaktion 1:
Der Mitarbeiter versichert
Ihnen glaubhaft, dass Ihre Befürchtun-
gen unbegründet sind. Dann hat sich
das Bleibe-Gespräch eigentlich erledigt.
Trotzdem sollten Sie die Chance nutzen,
um Ihre Mitarbeiterbeziehung auf eine
noch solidere Basis zu stellen. Zum Bei-
spiel, indem Sie sagen: „Das freut mich.
Trotzdem bitte ich Sie künftig, wenn Sie
irgendetwas an Ihrer Arbeit stört, das
Gespräch mit mir zu suchen. Denn wie
bereits gesagt: Sie sind mir als Mitarbeiter
wichtig.“
Reaktion 2:
Der Mitarbeiter betont, Ihre
Befürchtungen seien unbegründet. Sie
glauben ihm jedoch zum Beispiel auf-
grund seiner Körpersprache nicht. Dies ist
in Bleibe-Gesprächen oft der Fall. Denn
wechselwillige Mitarbeiter sprechen in
der Regel ungern mit ihrem Chef über
ihre Wechselabsicht, solange sie noch
keine Job-Alternative haben. Auch dann
sollten Sie betonen, dass Sie sich hierüber
freuen, weil der Mitarbeiter Ihnen wichtig
ist. Danach sollten Sie das Gespräch wie
ein normales Mitarbeitergespräch weiter-
führen, zum Beispiel, indem Sie sagen:
„Davon unabhängig würde mich interes-
sieren, wie zufrieden Sie mit Ihrer Arbeit
sind? Können Sie sich in ihr verwirkli-
chen?“ Das Ziel hierbei: Die potenziellen