wirtschaft und weiterbildung 6/2018 - page 37

wirtschaft + weiterbildung
06_2018
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Katharina Zweig.
Die Profes-
sorin leitet an der Universität
Kaiserslautern auch den
Studiengang „Sozioinformatik“.
Aber das ist nicht immer gut. Wenn man
zu viele Daten hat, wird es viel schwieri­
ger zu erkennen, ob sie mit diskriminie­
renden und geschützten Informationen
wie dem Alter oder Geschlecht korrelie­
ren. Außerdem kann es Scheinkorrela­
tionen geben, bei denen zwei Variablen
zwar häufig zusammen auftreten, aber
nichts miteinander zu tun haben.
Wer ist eigentlich verantwortlich, wenn
ein Algorithmus einen Bewerber
auswählt?
Zweig:
Zum Teil sicher der Softwareher­
steller, aber die Hauptverantwortung trägt
das Unternehmen, das die Daten bereit­
stellt und die Qualitätskriterien festlegt.
Woran erkenne ich, ob ein Software-
Produkt gut ist?
Zweig:
Ein Verkäufer wird immer ein Maß
für die Qualität seines Produkts angeben.
Aber da gibt es mindestens 20 verschie­
dene Berechnungswege oder Messme­
thoden. Wenn das System bei einem gute
Werte hat, heißt das noch lange nicht,
dass die anderen auch gut sind. Und es
kommt immer darauf an, was Ihr Ziel
ist. Als Personalmanager sollten Sie sich
daher erst einmal fragen, was überhaupt
verbessert werden soll. Geht es darum,
langfristig die besten Talente zu erkennen
oder kurzfristig unter fünf Bewerbern den
Besten zu finden?
Was bedeutet das für den Algorithmus?
Zweig:
Wenn Sie Zeit haben, um die bes­
ten Talente zu identifizieren, brauchen
Sie einen Algorithmus, der die Personen
sucht, die tatsächlich am Talentiertesten
sind. Dann bekommen Sie die zehn Pro­
zent mit dem höchsten Punktwert und
von denen sind dann vielleicht 80 Pro­
zent tatsächlich die besten Talente. Ganz
anders ist es, wenn Sie die Stelle sofort
besetzen müssen und nur fünf Bewer­
ber haben. Dann gilt es den besten unter
den Fünf herauszufinden, auch wenn er
kein Talent ist. Das ist ein völlig anderes
Qualitätsmaß. Es kommt also darauf an,
worauf das System trainiert worden ist.
Wenn ein Verkäufer sagt, unser System
liefert zu 80 Prozent richtige Entschei­
dungen, dann sollten Sie immer fragen:
80 Prozent von was? Was bedeutet das
für meine Fragestellung? Wenn ein Ver­
käufer da keine gute Antwort hat, wäre
ich vorsichtig.
Worauf sollte ich noch achten?
Zweig:
Da gibt es natürlich viele Aspekte.
Eine Firma, die Ihnen ein Produkt ver­
kaufen will, sollte sie unbedingt fragen,
wie gut ihre Daten sind. Damit meine ich
zum Beispiel Daten zu den erfolgreichen
Mitarbeitern im Unternehmen. Wenn Sie
nur unvollständige Daten haben, kann
der Algorithmus auch keine brauchbaren
Korrelationen finden. Aber die meisten
KMUs haben keine ausreichenden Daten­
grundlagen.
Ein Software-Anbieter warb mit dem
Slogan „No more people problems“, ein
anderer versprach „mit guten Daten
können wir praktisch alles vorhersagen“.
Wie realistisch ist das?
Zweig:
Das geht weit darüber hinaus,
was prinzipiell geleistet werden kann. Ich
wäre schon froh, wenn mehr datenzen­
trierte Entscheidungen gefällt, die Aus­
wahlprozesse besser evaluiert werden.
Also sind Algorithmen doch nicht die
Wunderwaffe im Human-Resource-
Management?
Zweig:
Jedes Unternehmen sollte be­
denken, dass ein Algorithmus immer
nur Standardfälle gut lernen kann. Aber
wollen Sie nur Mitarbeiter mit einem
Standard-Lebenslauf? Damit verpassen
Sie vielleicht den tollen Seiteneinsteiger
mit abgebrochenem Japanologie-Studium
und innovativen Ideen, der Ihr Unterneh­
men weiterbringt. Algorithmen neigen
dazu, gewöhnliche Talente zu identifizie­
ren und dann haben Sie irgendwann nur
noch 0815-Mitarbeiter. Ein Unternehmen,
das für alle Prozesse der Einstellung und
Beförderung Algorithmen nutzt, würde
erstarren und wäre vermutlich schnell
weg vom Markt.
Interview: Bärbel Schwertfeger
Foto: Uni Kaiserslautern
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