wirtschaft + weiterbildung
06_2018
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big to fail“ bezeichnet. Es sei schlimm,
wenn sich so manches Unternehmen
heute als „too big to change“ erweise.
Für das Bankhaus August Lenz treibt
Werne die Digitalisierung voran. Angst
vor den Veränderungen, die zum Beispiel
künstliche Intelligenz für das Leben und
Arbeiten mit sich bringt, hat er nicht. Er
beobachtet die Entwicklungen und den
technologischen Fortschritt eher mit der
Begeisterungsfähigkeit eines Entdeckers
und Abenteurers: „Die Raumkapsel
Apollo 11 hatte 12.300 Transistoren. Auf
den Prozessor eines I-Pads passen drei
Milliarden.“ Er nimmt Führungskräfte in
die Pflicht: „Innovation muss beim Top-
management anfangen“. Dazu brauche
es eben Mut, Abenteurergeist und einen
Plan.
Veränderung braucht die
„Kraft der Prozesse“
Ein Abenteuer hat immer einen unge-
wissen Ausgang. Das hat auch Miriam
Schilling, Head of Human Resources
beim Sportbekleidungshersteller Vaude
erfahren. Der Versuch, agile Arbeitsme-
thoden wie zum Beispiel Scrum mithilfe
von einzelnen Workshops einzuführen,
war nicht von Erfolg gekrönt. „Ich hätte
es eigentlich wissen müssen“, räumt die
Personalerin im Rückblick ein. „Wenn die
Mitarbeiter ein Bewusstsein für die Not-
wendigkeit von Veränderung entwickeln
sollen, muss man ihnen Zeit geben.“ Ihr
Rat an die Teilnehmer des Forums: „Es
gibt zurzeit so viele spannende Ansätze.
Sie müssen nicht alles machen. Suchen
Sie sich den Ansatz, der zu Ihrem Un-
ternehmen passt.“ Schilling glaubt an
die „Kraft der Prozesse“: „Prozesse sind
enorm wichtig, denn sie können Mitar-
beitern den Halt geben, den sie brauchen,
um Neues auszuprobieren.“ Wenn Un-
ternehmen agiler und schneller werden
sollen, bräuchten sie zumeist eine Kultur-
veränderung: „Kultur entsteht, wenn wir
uns begegnen.“ Aufgabe der Führungs-
kräfte sei es, diese Begegnungen zu er-
möglichen.
Birgit Karl verantwortet mit ihren Teams
beim Lufthansa-Dienstleister „In Touch“
die Steuerung von Infrastruktur und IT,
Projekten, Prozessmanagement sowie
Qualität und Training. Lufthansa In Touch
ist das zentrale Kundenservice-Kompe-
tenzzentrum der Lufthansa Gruppe. Der
weltweite Verbund von Servicecentern
bietet an sieben Standorten in sieben ver-
schiedenen Ländern maßgeschneiderten
Kundenservice für die Lufthansa Gruppe
an. Das Unternehmen im Konzern hat
einen mehrstufigen Change-Prozess
durchlaufen. „Heute sind wir richtig cool
aufgestellt“, ist Birgit Karl überzeugt.
Mehrere Schritte führten zu diesem Er-
gebnis. Es begann mit der Implementie-
rung eines Headquarters in Berlin, das
nun für die zentrale Steuerung in den
Kernbereichen und die strategische Ent-
wicklung der gesamten Gruppe verant-
wortlich ist. „Wir leben die Matrix“, sagt
Birgit Karl und freut sich, dass die Orga-
nisation diesen Weg gegangen ist: „Wir
haben es einfach gemacht.“ Für die Füh-
rungskräfte hat dieser Weg viel Verände-
rung, Verunsicherung und auch den Ver-
lust von Einfluss und Privilegien mit sich
gebracht. Dass der Wandel unter diesen
Vorzeichen gelingen konnte, liegt für sie
in der firmeninternen Kommunikation.
So entstanden zum Beispiel firmeninterne
Newsletter und Blogs. Vor allem kam es
auf die persönliche Kommunikation der
Führungskräfte an: „Wertschätzen statt
Überbügeln“ mussten sie als Devise ler-
nen und verinnerlichen.
Change mit ständigen
Feedback-Schleifen
Achim Hensen hat als Mitarbeiter von
Traumferienwohnungen (Bremen) einen
Change-Prozess gestalten dürfen, in dem
ein Start-up, das auf über hundert Mit-
arbeiter angewachsen war, durch agile
Prozesse, Selbstorganisation und flexible
Strukturen wieder handlungsschneller
und handlungsfreudiger wurde. Auf dem
Akademie-Forum berichtete er offen,
was gut gelaufen ist und was er heute
anders machen würde. Sein Rückblick:
„Unheimlich geholfen hat uns, dass wir
in alle Prozesse Lern- und Feedback-
schleifen eingebaut haben – so können
wir bis heute Schritt für Schritt immer
besser werden und uns anpassen.“ Auch
wenn Unternehmen, die auf New Work
und neue Formen der Zusammenarbeit
setzen, gerne als „Unternehmen ohne Hi-
erarchie“ beschrieben werden, möchte sie
Hensen nicht als führungslos beschrei-
ben. Zumindest für Traumferienwohnun-
gen gilt für ihn: „Es gibt jetzt viel mehr
Menschen, die Führung übernehmen als
früher.“ Sie wird nur anders verteilt.
Christin Latk
Foto: Hannes Wonner / Akademie für Führungskräfte der Wirtschaft