wirtschaft und weiterbildung 6/2018 - page 49

wirtschaft + weiterbildung
06_2018
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damit der soziale Vergleich – für viele
Nutzer ein entscheidender Grund, warum
sie immer wieder auf die sozialen Medien
zurückgreifen. Zudem konnte der Psycho-
loge in seinen eigenen Arbeiten zeigen,
dass geringere Volumen grauer Substanz
des Nucleus Accumbens mit erhöhter
Facebook-Nutzung auf dem Smartphone
assoziiert sind. Dabei sei allerdings noch
nicht klar, ob das geringere Volumen im
Gehirn eine Disposition darstellt, das In-
ternet vermehrt zu nutzen, oder ob diese
Hirnvolumina eine Folge der Nutzung
sind. Studien aus der Computerspiel-
suchtforschung legten aber nahe, dass die
Interaktion mit digitalen Welten tatsäch-
lich das Gehirn verändern kann. Ob die
intensive Nutzung letztlich auch zu einer
Veränderung der Persönlichkeit führt, sei
aber unklar. Bisher fehlen entsprechende
Längsschnittstudien.
Anhand der digitalen Spuren, die jeder
Nutzer hinterlässt, verrate er auch et-
liches über seine Vorlieben und seine
Persönlichkeit. Zwar sei eine valide Er-
fassung der Persönlichkeit noch nicht
möglich, aber es ließen sich einige Merk-
male erkennen, die bereits für Marketing-
zwecke genutzt werden. So zeigt eine
neue Studie, dass Werbebotschaften, die
passgenau auf persönliche Merkmale
abgestimmt sind, zu 40 Prozent mehr
Klicks und 50 Prozent mehr Käufen füh-
ren. Ralf Pispers, CEO des Kölner Start-
ups Personal Business Machine, ist sogar
überzeugt, dass Maschinen bessere Kun-
denerlebnisse schaffen. „Mytaxi weiß,
wer mein Lieblingsfahrer ist und weiß,
wo ich hinwill“, schwärmt der Marke-
tingexperte. Seit 2017 ist er für die Central
Krankenversicherung tätig und verarbei-
tet alle Kundendaten zu einer individu-
ellen Kommunikation in Texten, Bildern,
Audio oder Video. „Wir müssen weg vom
Einheitsbrei der Kommunikation“, for-
dert er. Mancher Kunde möge eben lie-
ber ein kurzes und prägnantes Video, ein
anderer eine lange schriftliche Erklärung.
Pispers glaubt, dass das Vertrauen in Al-
gorithmen wachse und Menschen künftig
dem Roboberater mehr vertrauen als dem
Bankberater, weil die Maschine empathi-
scher sei als der Mensch.
Wenn ein Computer die
Kleidung aussucht
Dass der Umstieg auf Onlineangebote
auch in die Hose gehen kann, berichtete
Gabriele Castegnaro, Geschäftsleiterin
des Bekleidungshauses Konen in Mün-
chen. Weil Inspiration und Kreativität, die
Vermittlung eines besonderen Lebensge-
fühls und die Freude am Verwöhnen zu
den Erfolgsfaktoren des 82-jährigen Un-
ternehmens gehören und sich das nicht
gut in einem Onlineshop abbilden lässt,
entschied man sich zunächst dagegen.
Dann engagierte man einen Berater. Der
machte Angst und warnte vor dem Unter-
gang. Daraufhin wurde ein Konzept für
einen Onlineshop umgesetzt.
Dabei gab es einen Stil-Check, bei dem
sich der Kunde in eine Grundausrichtung,
einen Modegrad und in eine Stilistik ein-
ordnen musste. Die Mitarbeiter bekamen
dann die Auswertung zusammen mit
einer Empfehlung, welche Kleidungs­
stücke sie dem Kunden vorschlagen soll-
ten. Als Stil-Coachs sollten sie den Kun-
den dann online beraten. Doch die Mit-
arbeiter empfanden es als Frechheit, dass
sie etwas verkaufen sollten, was ihnen
die Maschine vorgeschlagen hat. Und
auch den Kunden machte der trockene
Stil-Check keinen Spaß. 2016 hatte man
seine Ziele auch nicht annähernd erreicht
und es herrschte Frust auf allen Ebenen.
„Das entsprach einfach nicht unserem
wertschätzenden und ehrlichen Umgang
mit den Kunden“, so Castegnaro. Also
beendete man das Ganze. Die Geschäfts-
leiterin: „Wir haben viel in die Mitarbei-
ter investiert, um den Unmut wieder zu
glätten.“
Bärbel Schwertfeger
Fotos: Gruppe Nymphenburg
Gabriele Castegnaro.
Die Kunden eines
Bekleidungshauses in München lehnten
einen Computercheck ab, wie Castegnaro
berichtete.
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