wirtschaft und weiterbildung 6/2018 - page 21

wirtschaft + weiterbildung
06_2018
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„Wir haben eigentlich nur drei Interven­
tionsebenen: Beschreibungsebene, Erklä­
rungsebene, Bewertungsebene! Wenn ich
auf einer Ebene eine neue Hypothese an­
biete, dann hat das auch Konsequenzen
auf den anderen Ebenen.“
Rezept
Nr. 5
Sei Dir darüber klar, dass das zentrale Mit-
tel der Steuerung und/oder Beeinflussung
psychischer wie auch sozialer Prozesse
die Fokussierung der Aufmerksamkeit ist!
Daher richte die eigene und die fremde
Aufmerksamkeit auf das, was dir wichtig
erscheint.
In dem Augenblick, in dem das ganze
Unternehmen sich auf ein vorgegebenes
Thema fokussiert, wird der Erfolg des
entsprechenden Change-Programms
umso wahrscheinlicher. Im Grunde geht
es bei vielen Versuchen, Einfluss zu neh­
men, immer um die Fokussierung der
Aufmerksamkeit – vom Zauberkünstler
bis zum Politiker.
Rezept
Nr. 6
Bevor Du dir Gedanken über die Verände-
rung der „Welt“ (einer Familie, einer Orga-
nisation …) machst, versuche herauszu-
finden, wie sie es schafft, sich nicht (!) zu
verändern. Die Frage ist: Wer oder was wird
jeweils dazu benötigt, die Stagnation auf-
rechtzuerhalten?
Wenn man morgens in die Garage geht,
erwartet man, dass sich das Auto, das
dort steht, nicht verändert hat. Man geht
davon aus, dass sich das Auto nur durch
mechanische Kräfte von außen verändert.
Bei Individuen und sozialen Systemen ist
das ganz anders. Das sind dynamische
Systeme, die sich aus sich selbst heraus
verändern. Sie lassen sich durch Reize
aus der Umwelt irritieren und entwickeln
sich auf die eine oder andere Art weiter.
Wenn Entwicklung das Normale ist, kos­
tet es einigen Aufwand, die Entwicklung
zu verhindern. Die Stagnation muss er­
klärt werden. Simon fragt sich in solchen
Situationen: „Welcher Mechanismus ge­
neriert die Nichtveränderung? Welche
Kräfte sorgen für den Erhalt des Status
quo?“ Berater sollten wissen: „Nichts
bleibt, wie es ist, es sei denn, irgendwer
oder irgendwas sorgt dafür.“
Rezept
Nr. 7
Beobachte immer Formen, das heißt Sys-
tem-Umwelt(en)-Einheiten. Beobachte nie
mals isolierte Objekte oder Systeme! Ent-
scheide, welches System und welche (für
das System relevante) Umwelten Du beo-
bachten willst beziehungsweise welche
Kopplungen Du in ihrer Struktur und Funk-
tion beobachten willst. Rechne damit, dass
die Umwelten die Systeme nicht kausal
bestimmen (Es gibt keine instruktive Inter-
aktion), sondern nur in ihren Möglichkeiten
begrenzen.
Eigentlich sind immer drei Systeme (Psy­
che, Organismus, soziale Systeme) gekop­
pelt, was die Sache so komplex macht.
Um die Komplexität zu verringern, fragt
man sich in der Regel: Was kann man un­
gestraft wegdenken? Häufig wird etwas
weggedacht, was man nicht wegdenken
sollte. Wenn in einem Unternehmen je­
mand einen Burn-out bekommt, schickt
man ihn in der Regel ohne viele Worte
in eine Klinik. Das soziale System (das
Unternehmen) kann dann ignorieren,
dass Mensch und Organisation gekoppelt
sind. Die Organisation muss nichts ler­
nen, weil der Burn-out alleine „Schuld“
des Individuums ist. Simon: „Berater
sollten nie isoliert nur ein einziges Sys­
tem anschauen, sondern auch die Bezie­
hungen zu anderen Systemen und zu den
Umwelten.“ Natürlich müsse sich jeder
Berater fragen: Welches ist für meine Fra­
gestellung die relevante System/Umwelt-
Unterscheidung?
Rezept
Nr. 8
Rechne damit, dass Deine Beobachtungen
durch die Medien Deines Beobachtens
beeinflusst werden (Begrenzungen der sinn-
lichen Wahrnehmung, Instrumente, Theo-
rien …). Suche Medien (vor allem Theorien)
der Beobachtung, die deinem Interesse
gerecht werden.
Eine weitere Denkfigur der systemischen
Theorie ist das „Medium“. Es verbindet
den Beobachter mit dem beobachteten
Gegenstand. Ein Medium beeinflusst,
was und wie beobachtet wird. Eine The­
orie kann auch ein Medium sein. Früher
wurde ein soziales System metaphorisch
oft mit einer Maschine verglichen. Oder
eine Führungskraft wurde zum „Boxen­
stopp“ geschickt. Sie wurde quasi mit
einem Auto verglichen, das ab und an
einen Ölwechsel braucht. Simon fordert:
„Verwenden Sie keine mechanischen Mo­
delle für lebende Prozesse!“
Rezept
Nr. 9
Beobachte die interne Struktur von (körper-
lichen, psychischen, sozialen) Prozessen
daraufhin, ob sie mit dem Überleben des
Systems in den relevanten Umwelten kom-
patibel sind. Gibt es eine System-Rationa-
lität?
R
Fritz B. Simon
(mit Mikro).
Er
unterbrach seinen
Vortrag drei Mal
und stellte sich
im Rahmen des
Fishbowl-Formats
der Diskussion mit
den Zuhörern.
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