wirtschaft und weiterbildung 6/2018 - page 24

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wirtschaft + weiterbildung
06_2018
titelthema
decke kein Thema der deutschsprachi-
gen akademischen Forschung, obwohl
circa 70 Prozent aller Unternehmen Fa-
milienunternehmen sind. Im Fokus der
Aufmerksamkeit standen (und stehen
immer noch) Kapitalgesellschaften. Der
Grund dafür dürfte sein, dass Entschei-
dungen, die einer personenorientierten,
familiären Rationalität folgen, aus einer
betriebswirtschaftlichen Perspektive oft
als irrational bewertet werden. Und das
sind sie oft auch, wenn Entscheidungen
zum Beispiel allein aufgrund emotionaler
Erwägungen und Rücksichtnahmen ge-
troffen werden.
Aber die radikale Anwendung einer be-
triebswirtschaftlichen Rationalität und
nüchternes Kalkulieren bei unterneh-
merischen Entscheidungen ist ebenfalls
irrational. Denn, das zeigen empirische
Studien, Kapitalgesellschaften, deren Ent-
scheidungen sich am Shareholder Value
als höchster Priorität orientieren, sind
langfristig weniger erfolgreich als Fami-
lienunternehmen, die – ganz anders als
die öffentliche Meinung suggeriert – viel
länger überleben und profitabler sein
können.
Also, um es auf eine Formel zu bringen:
Unternehmen, die sich vorwiegend an
einer personenorientierten Rationalität
orientieren, funktionieren ebenso irratio-
nal wie Familien, die sich vorwiegend an
einer Sachrationalität orientieren.
Wie erklären Sie das?
Simon:
Die Erklärung ist, dass wir es in
Familien und Unternehmen eigentlich
nie mit Situationen zu tun haben, wo
im Sinne einer Entweder-oder-Logik klar
zwischen Sachentscheidungen und Ent-
scheidungen, die Personen und deren
Wohlergehen betreffen, getrennt werden
kann. Jedes Unternehmen ist mit der Pa-
radoxie und dem Konflikt konfrontiert,
dass Entscheidungen, die für den einen
Stakeholder gut sind, für den anderen
schlecht sind.
Wenn das für alle Unternehmen gilt,
wieso sollten da Familienunternehmen
einen Vorteil haben, der sie langlebiger
macht?
Simon:
Der Vorteil von Familienunterneh-
men besteht darin, dass sie – vor allem
im Vergleich mit börsennotierten Unter-
nehmen – eine andere Eigentümerstruk-
tur besitzen. Das Management entschei-
Sie unterscheiden zwischen „personen­
orientierten sozialen Systemen“ – wie
zum Beispiel der Familie – und „sach­
orientierten Systemen“ wie Organisatio­
nen. In beiden folgen die Spielregeln der
Kommunikation einer unterschiedlichen
Rationalität, das heißt ihre Funktion
besteht im Fall der Familie, um bei dem
Beispiel zu bleiben, darin, die Probleme
der Mitglieder zu lösen, und im Falle der
Organisation darin, sachliche Aufgaben
zu lösen und Ziele zu erreichen. Wie steht
es dann um die Rationalität von
Familienunternehmen?
Fritz B. Simon:
Familienunternehmen
waren ja merkwürdigerweise bis zur
Gründung des Instituts für Familienun-
ternehmen der Universität Witten/Her-
„Personen- und Sachorientie­
rung sollte in Balance sein“
SIMON-INTERVIEW TEIL 3.
Mit seinem neuen Buch „Formen“ hat Prof. Dr. Fritz B. Simon
ein wichtiges Grundlagenwerk für systemische Organisationsberater geschrieben. In einem
dreiteiligen Interview erklärt Simon unseren Lesern, welchen Nutzen sie aus einer moder-
nen Systemtheorie ziehen können, die im Wesentlichen auf den großen Soziologen Niklas
Luhmann zurückgeht.
Fritz B. Simon.
Auf der „Formen“-
Tagung fordet
Simon zu kritischer
Diskussion auf.
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