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wirtschaft + weiterbildung
06_2018
titelthema
zum Krieg erbender Geschwister, die
sich gegenseitig vorwerfen, dass sie sich
schon im Sandkasten gegenseitig immer
die Förmchen weggenommen haben. Auf
der anderen Seite zeigt die Kultur in Fa-
milienunternehmen im besten Fall eine
gewisse Familienartigkeit, sodass die Mit-
arbeiter sich als Individuen gesehen und
nicht austauschbar fühlen, sodass sie sich
emotional an das Unternehmen binden.
Das ist vor allem in schlechten Zeiten
eine kaum zu überschätzende Ressource
für die Überlebens- und Erfolgschancen
des Unternehmens.
Wie kann ein Familienunternehmen
beziehungsweise eine Eignerfamilie mit
diesen Risiken und Chancen umgehen?
Simon:
Beginnen wir bei den Risiken.
Wie in jeder anderen Familie gilt auch in
Eigentümerfamilien: Man benimmt sich
besser, wenn Besuch kommt oder Fremde
die Familie beobachten. Das heißt, es
ist eine wichtige friedensstiftende Maß-
nahme, sich mit sachlich kompetenten,
wohlmeinenden, aber trotzdem kriti-
schen Menschen, die nicht zur Familie
gehören, zu umgeben. Sie sollten – etwa
in einem Beirat – ihre korrektiven oder
bestätigenden Beobachtungen in die
Kommunikation einspielen können. Ins
Topmanagement sollten besser keine
Personen geholt werden, die ihre Sozia-
lisation in einem börsennotierten Unter-
nehmen erhalten haben, denn sie meinen
meist, es sei rational, die Familie (wie ich
es einmal gehört habe) zu „kastrieren“.
Denn damit wird dem Unternehmen die
Ressource, die „geduldige“ Bindung der
Eigentümer, das heißt des Kapitals, an
das Unternehmen genommen. Also, ohne
jetzt auf Einzelheiten eingehen zu kön-
nen, die ich andernorts ausführlich be-
schrieben habe, es geht immer auch um
das Managen der Beziehung zwischen
der Familie und dem Unternehmen sowie
der Balancierung von Personen- und
Sachorientierung.
Das bringt mich noch zu einem anderen
Thema – der zunehmenden Popularität
von Organisationsformen, die weniger
zum klassischen Bild der hierarchischen
Organisation passt, zu Agilität und
ähnlichen Konzepten, die ihre
Funktionalität in der Software-
Entwicklung bewiesen haben.
Simon:
Dazu müsste eigentlich erst ein-
mal viel darüber gesagt werden, worin
die Funktionalität von Hierarchie besteht.
Wie sollte man Hunderttausende von
Mitarbeitern in ihrem Handeln koordi-
nieren können, wenn nicht strategische
Vorgaben, Ziele und Einschätzungen
der Märkte irgendwie vergemeinschaftet
würden und als Richtlinien der Unter-
nehmenspolitik und der individuellen
Entscheidungen der Mitarbeiter wirksam
würden. Aber (und hier schließt die At-
traktivität all der auf Selbstorganisation
von Mitarbeitern setzenden Modelle an
die Unterscheidung Personenorientie-
rung versus Sachorientierung an), wenn
es um Kreativität und die Nutzung der
geistigen und emotionalen Ressourcen
von Mitarbeitern geht, so ist dies fast
immer am besten in Teams oder Gruppen
zu erreichen. Denn wenn eine egalitäre
Face-to-Face-Kommunikation stattfindet,
hat jeder die Chance, sein Potenzial zu
realisieren und „sich“, wie es so schön
heißt, in die Kommunikation einzubrin-
gen, sodass der Kommunikationsprozess
zu intelligenteren Ergebnissen führt, als
sie jeder Einzelne hätte zustande bringen
können.
Ich nenne das „Mehr-Hirn-Denken“. Aber
das ist nicht für alle Zwecke nützlich oder
sinnvoll, auch wenn es für die Mitarbei-
ter in den meisten Fällen attraktiver ist,
als irgendwelche Vorgaben anderer Leute
abzuarbeiten.
Höre ich da, trotz der positiven
Bewertung, einen etwas skeptischen
Ton heraus?
Simon:
Ja, denn diese neuen und – wie
ich finde sehr nützlichen und funktionel-
len Selbstorganisationsmodelle – bedür-
fen paradoxerweise der Hierarchie, um
überhaupt realisiert zu werden. Mit an-
deren Worten könnte man es so sagen:
Die Selbstorganisation muss organisiert
werden! Ohne einen hierarchischen Rah-
men, der sie ermöglicht oder gar anord-
net, passiert es einfach nicht, dass sich
– zufällig, aufgrund einer bestimmten
und ganz besonderen Motivation – eine
große Zahl von Menschen zusammenfin-
det und gemeinsam in zuverlässiger und
organisierter Weise an der Kreation von
Problemlösungen arbeitet.
Interview: Martin Pichler
R
„Selbstorganisationsmodelle bedürfen paradoxer
weise der Hierarchie, um überhaupt realisiert zu
werden. Mit anderen Worten: Die Selbstorganisation
muss organisiert werden.“
Austausch.
Fritz B. Simon diskutiert mit einem systemischen Organisationsbera-
ter über ein bestimmtes Zitat in seinem „Formen“-Buch.