Wirtschaft- und Weiterbildung 7-8/2018 - page 33

wirtschaft + weiterbildung
07/08_2018
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Schledt – ein Beispiel von vielen. Wer
sich für den raschen Aufstieg empfiehlt,
leitet zunächst tageweise Filialen, ehe die
stellvertretende und tatsächliche Filiallei-
tung folgen. Danach steht ein Wechsel in
eine größere Filiale oder den Zentralbe-
reich offen. Oft resultieren diese Karriere­
schritte aus gezielter Binnenfluktuation.
Die Jobrotation von Mitarbeitern zu för-
dern, ist Aufgabe des internen Arbeits-
markts. „Solche Wechsel sind gewünscht,
sogar sexy“, erklärt Schledt. Wer wech-
selt, so die Botschaft, ergreift die große
Chance, sich im Sinne des Unternehmens
zu entwickeln. Es zeigt sich: Zukunftsori-
entierte Unternehmen wenden Talent Ma-
nagement teils auf einen kleineren Perso-
nenkreis an, wie Weidmüller auf digitale
Talente, teils auf die ganze Belegschaft,
wie bei Alnatura zu beobachten ist. Sie
verknüpfen es mit einem neuen Organi-
sationsverständnis sowie revidierten Füh-
rungsrollen.
Ach du Schreck: Der
Goldfischteich ist leer
Von elitärem Gehabe wird dabei Abschied
genommen. Talente in einem Goldfisch-
teich zu versammeln, wo niemand so
richtig weiß, warum er dabei ist und was
ihn konkret erwartet, ist für Grieger tabu.
„Das lassen sich die besten Talente heute
nicht mehr bieten.“
Doch Umsteuern benötige Zeit, findet
Jens Bender, Geschäftsführer von In-
traworlds. Das auf Talent Management
spezialisierte Münchner Beratungshaus
richtet das internationale „World Talent
Forum“ aus. Das Umfeld von Unterneh-
men ändere sich, auch die Kultur. Dazu
zählt Bender zufolge auch der Wunsch
nach stärkerer Partizipation, wie etwa bei
Haufe Umantis zu beobachten ist. Dort
wählen die Mitarbeiter den CEO. „Mitar-
beiter wollen bis zu einem bestimmten
Grad unternehmerische Mitverantwor-
tung tragen, nicht zuletzt auch für die
eigene Entwicklung“, sagt Bender. Die
Kaminkarriere, ein Konstrukt aus vor-
definierten Entwicklungsstufen, tauge
nicht mehr. Nun überzeugen laut Bender
Talent-Management-Konzepte, die sich
durch große Eigenverantwortung der Mit-
arbeiter und große Transparenz auszeich-
nen. „Im Idealfall“, so der Talent-Manage-
ment-Experte Trost, „unterschreiben Ta-
lente den Arbeitsvertrag, weil sie wissen,
dass sie ihre Entwicklung selbst in die
Hand nehmen müssen.“ Finde heraus,
wo deine Zukunft liegt – dafür stehen
dir viele Wege offen! So könnte da das
Motto lauten. Trost nennt das „mitarbei-
terzentrierte Befähigung“ – im Gegensatz
zur zentralen Steuerung und Kontrolle im
Sinne einer Bevormundung.
Wie es scheint, sind Führungskräfte
Dreh- und Angelpunkt bei der Frage, in-
wieweit Talent Management eine Zukunft
hat. „Es gehört in die DNA guter Füh-
rungskräfte“, betont Personalleiter Fel-
der. Sie verfügten über Rezeptoren, um
auf Talente aufmerksam zu werden, sie
zu binden und kontinuierlich zu fördern.
Prinzipiell sollten Führungskräfte ihre Ta-
lente immer wieder überraschen, um sie
in neuem Licht zu sehen. „Schaden wird
auch ein Sprung ins kalte Wasser keines-
wegs.“
Talent Management endgültig
abschaffen?
Weniger optimistisch ist hingegen Talent-
Management-Experte Trost. Für ihn ist die
Bereitschaft, eingetretene Pfade zu verlas-
sen, gering ausgeprägt. „Von jenen, die
so nach oben gekommen sind, ist auch
nichts zu erwarten.“ Viel wurde in Talent
Management investiert, auch in Systeme,
die heillos vertrackt sind und Anwender
frustrieren. Da könne man durchaus da-
rüber nachdenken, das Konzept ganz ab-
zuschaffen, meint Trost. Das hieße auch,
dass die offenkundig heikle Frage, wer
nun eigentlich Talent ist und wer nicht,
vom Tisch wäre.
Winfried Gertz
„Führungskräfte sind nicht mehr die patriarchalen
Kümmerer, sondern wandeln sich zum Mentor und
Coach auf Augenhöhe mit ihren Talenten.“
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