Wirtschaft- und Weiterbildung 7-8/2018 - page 32

personal- und organisationsentwicklung
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wirtschaft + weiterbildung
07/08_2018
Transformation seien weder Hochschulen
noch Unternehmen hinreichend vorberei-
tet. Während Hochschulen ihre Defizite
bei der Ausbildung von digitalen Talenten
unbedingt über die Lehrpläne ausglei-
chen müssten, wie Jäger selbstkritisch
einräumt, offenbarten auch die Kataloge
der betrieblichen Personalentwicklung
eklatante Lücken bezüglich neuer Füh-
rungsansätze, Organisationsmodelle und
neuer Formen der betrieblichen Koope-
ration. Mit ihrer strategischen Personal-
planung hinsichtlich Industrie 4.0 und
ihren Konzepten für digitale Talente seien
Firmen wie Phoenix Contact, Festo und
eben Weidmüller anderen Unternehmen
daher weit voraus, so Jäger.
Doch wer ist ein Talent? Ist nicht jeder auf
gewisse Weise talentiert? Bei Kienbaum
hat man lange um eine schlüssige Defini-
tion gerungen. Im betrieblichen Kontext
gehe es vor allem um jene Talente, die
sich „besonders fruchtbar“ für die Orga-
nisation erwiesen, erklärt Talentexperte
Delahaye.
Freilich müsse ein konkreter Bedarf be-
stehen, präzisiert Rupert Felder. „Boris
Becker hat im Konzertsaal ebenso wenig
verloren wie der Kompanieführer in einer
modernen Organisation“, sagt der Perso-
nalleiter der Heidelberger Druckmaschi-
nen AG. Je kritischer der Bedarf, umso
sträflicher sei es, Talente durch unzu-
reichende Förderung oder unprofessio-
nelle Führung zu frustrieren. Ein oft zu
beobachtendes Manko: Führungskräften
fehlt der Sinn fürs Ganze. „Sie wollen ihr
bestes Pferd lieber im Stall behalten“, er-
klärt Armin Trost, Experte für Talent Ma-
nagement und Hochschullehrer in Furt­
wangen. Deshalb versammeln sich in den
Pools nicht die Besten. Die suchen sich
ihre eigenen Wege.
Führen heißt, den Talenten
zu folgen
Das möchte Wolfgang Runge von vorn-
herein vermeiden. Der Personalleiter der
Hanauer Vakuumschmelze fängt hinsicht-
lich Talent Management im Unternehmen
bei Null an. Zunächst gelte es, sagt er,
Führungskräfte überhaupt zu befähigen,
sich mit Talenten über Kompetenzen und
Entwicklungsschritte auszutauschen. Das
Ziel sei eine reife Organisation, die auch
zu den Themen Talent und Entwicklung
fruchtbare Dialoge führen kann. Dazu
müssen Vorgesetzte in eine neue Rolle
schlüpfen. Damit Talente sich gemäß
ihres Potenzials fachlich und persönlich
entwickeln können, moderieren sie Pro-
zesse, erklären Zusammenhänge und
geben grobe Linien vor. Runge: „Gute
Vorgesetzte werden dabei auch von ihren
Mitarbeitern lernen.“
Führungskräfte sind nicht mehr die pat-
riarchalen Kümmerer, sondern wandeln
sich zum Mentor und Coach auf Augen-
höhe mit ihren Talenten. „Statt an die
Hand genommen und wie beim Baby-
sitting versorgt zu werden, ergreifen Ta-
lente Initiative“, so Talent-Management-
Experte Trost. „Sie suchen sich selbst
neue Herausforderungen, um sich zu ent-
falten.“ Sie sorgen selbst für Sichtbarkeit
und erschaffen sich eigene Netzwerke.
„Talent ist jemand, den die anderen als
Talent erkennen. Ihm folgen Menschen
auf natürliche Weise“, so Trost.
Auf selbstbewusste Talente, die sich nicht
von oben herab behandeln lassen wollen,
hält auch Joachim Schledt große Stücke.
Wie der Personalleiter der Biomarktkette
Alnatura erläutert, übernehmen Mitarbei-
ter in seinem Haus für ihre Entwicklung
selbst Verantwortung. Vorgesetzte müss-
ten dies ermöglichen, für die entspre-
chenden Instrumente sorge HR. Jeder
zweite Mitarbeiter dränge nach vorn, so
Schledt. „Sie sagen klar, welche Entwick-
lungsmaßnahme sie benötigen.“
Alnatura stärkt gezielt die
Eigenverantwortung
In keiner anderen Branche könne man
derzeit so schnell Führungsverantwor-
tung übernehmen wie im filialgestützten
Handel. „Eine Alnatura-Mitarbeiterin, die
erst im vergangenen Jahr ihre Ausbildung
abgeschlossen hat, ist schon stellver-
tretende Filialleiterin und soll bald eine
neue Münchner Filiale führen“, berichtet
R
Kienbaum-Studie.
Fähige Mitarbeiter sind die besten
Experten für ihre eigene Karriere. Ihre Führungskräfte soll-
ten sie durch Coaching und einen dauerhaften Dialog bera-
ten, aber keine strikten Pläne vorgeben.
In nur 30 Prozent der deutschen Unternehmen können
sich Mitarbeiter auch abseits klassischer Karrierepfade
entwickeln. In knapp 70 Prozent ist das Talent Manage-
ment nur auf Führungspositionen ausgerichtet und för-
dert ausschließlich den vertikalen Aufstieg. Das ergab die
Kienbaum-Talent-Management-Studie 2018, die “Trust in
Talent” überschrieben ist.
Die Studie zeigt: Zwei Drittel der Personalabteilungen arbei-
ten immer noch mit einem sehr homogenen Talenteprofil
für ihre sogenannten High Potentials, um damit die Beset-
zung von vordefinierten Schlüssel- und Führungspositionen
langfristig zu sichern. Nur ein Drittel gibt an, dass in ihrem
Unternehmen grundsätzlich jeder als Talent gilt und geför-
dert wird. Aus der Kienbaum-Studie geht allerdings auch
hervor, dass Unternehmen mit einer weiter gefassten Defi-
nition des Talentbegriffs innovativer sind als die mit elitärer
Talentdefinition.
83 Prozent der befragten Mitarbeiter sehen sich im Gegen-
satz dazu als hauptverantwortlich für ihr eigenes Fortkom-
men im Unternehmen.
Keine strikten Pläne mehr
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