Wirtschaft- und Weiterbildung 7-8/2018 - page 29

wirtschaft + weiterbildung
07/08_2018
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Buchtipp.
Jeffrey Pfeffer: „Dying for a
Paycheck“, Harper Business, New York
2018, 258 Seiten, 19,99 Euro (Englisch).
Und zwischen den wohlhabenderen und
ärmeren Gegenden in den Vereinigten
Staaten von Amerika gibt es einen Un­
terschied von 20 Jahren bei der durch­
schnittlichen Lebenserwartung.
Das lässt sich nicht mit Europa und erst
recht nicht mit der Lage in Deutschland
vergleichen ...
Pfeffer:
Natürlich gibt es hier einen ganz
anderen Rahmen. In vielen Ländern gilt
der Schutz jedoch vor allem für Fest­
angestellte. Aber es gibt immer mehr
Menschen, die nur noch befristete Ver­
licht zudem keine Planbarkeit mehr. Man
weiß nicht, wann und wie viel Arbeit
man hat. Und das ist schlecht für die Ge­
sundheit.
Werden Mitarbeiter damit auch immer
schneller ersetzbar?
Pfeffer:
Die Wegwerf-Mentalität ist be­
reits sehr verbreitet. Das gilt selbst für
hoch qualifizierte IT-Experten im Silicon
Valley zum Beispiel in der Game-Indus­
trie. Die rackern sich fast zu Tode, bis ein
Spiel fertig ist. Danach wird ein neues
Team zusammengestellt.
Warum gehen hoch qualifizierte Men-
schen zu Unternehmen, die – wie zum
Beispiel Amazon – bekannt für ihre
schlechten Arbeitsbedingungen sind?
Pfeffer:
Prestige und Status. Wer dort
einen Job bekommt, wähnt sich in der
Elite. Und kaum einer kann sich dann ein­
gestehen, dass ihn der Job krank macht.
Noch dazu, wenn er erfolgreich ist. Damit
spielen die Unternehmen sehr geschickt:
Wir sind die Besten und wenn Du dei­
nen Job bei uns nicht schaffst, gehörst Du
auch nicht zur Elite.
Man sollte sich also nicht von dem Image
einer Firma blenden lassen.
Pfeffer:
Das ist ein sehr wichtiger Punkt.
Es gibt keinen Zusammenhang zwischen
dem Prestige einer Firma und der Art, wie
sie ihre Mitarbeiter behandelt. Das sollte
jeder bei seiner Jobauswahl berücksichti­
gen. Denn ist man erst einmal drin, ver­
hindern nicht nur wirtschaftliche Gründe,
sondern oft auch psychologische Fallen,
dass man rechtzeitig wieder aussteigt.
Auch erfolgreiche Topmanager sind nicht
immun gegen die zerstörerischen Wir­
kungen von zu viel Arbeitsstress und ver­
lieren schnell die Kontrolle über ihren Job
und ihr Leben.
Was kann ich tun, wenn mich der Job
krank macht?
Pfeffer:
Am besten kündigen. Wenn das
nicht geht, sich möglichst viel soziale Un­
terstützung durch Freunde suchen und so
für einen Ausgleich sorgen.
Sie plädieren für mehr von etwas, was
Sie „menschliche Nachhaltigkeit“
nennen. Was bedeutet das?
Pfeffer:
Unternehmen kümmern sich
heute oftmals um die Umwelt und die
gefährdeten Polarbären. Das ist natürlich
richtig und gut. Aber sie sollten sich auch
mehr um die menschliche Nachhaltigkeit
kümmern. In vielen Unternehmen wird
der Garten besser gepflegt als die eigenen
Mitarbeiter.
Wird das Thema „Stress“ und
„Unsicherheit im modernen Berufsleben“
in der Managerausbildung genügend
berücksichtigt?
Pfeffer:
Nein. Dame Carol Black vom
Newnham College an der Cambridge Uni­
versity hat 2011 mehr als hundert briti­
sche Business Schools befragt, ob sie die
Themen Gesundheit, Mitarbeiterengage­
ment und Wohlbefinden in irgendeinem
ihrer Kurse behandeln. Die Antwort war:
„Nein“. Natürlich gibt es im HR-Studium
einzelne Kurse, wo auch die Themen Ge­
sundheit und Wohlbefinden beiläufig ge­
streift werden. Aber das ist einfach viel
zu wenig.
Interview: Bärbel Schwertfeger
„In vielen Unternehmen wird der Garten besser
gepflegt als die eigenen Mitarbeiter.“
Jeffrey Pfeffer.
Von dem
anerkannten Stanford-
Professor gibt es bereits ein
Querdenkerbuch auf Deutsch.
Es heißt „Macht – warum
manche sie haben und andere
nicht“ und erschien im Jahr
2013.
träge haben. Überall steigt der Druck und
immer geht es darum, dass mehr Schutz
die Unternehmen weniger effizient
macht. Europa bewegt sich in vielen As­
pekten in dieselbe Richtung wie die USA.
Welche Rolle spielt denn die
zunehmende Digitalisierung und die
neuen Formen der autonomen,
selbstgesteuerten Arbeitsgruppen?
Pfeffer:
Mit der künstlichen Intelligenz
wird alles noch viel schlimmer. Einmal
werden viele Jobs verloren gehen. Es ent­
steht also wirtschaftliche Unsicherheit,
was ein enormer Stressfaktor ist. Die so­
genannte Gig-Economy mit kurzfristigen
und zeitlich beschränkten Jobs ermög
1...,19,20,21,22,23,24,25,26,27,28 30,31,32,33,34,35,36,37,38,39,...68
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