WIRTSCHAFT_UND_WEITERBILDUNG 06/2016 - page 30

personal- und organisationsentwicklung
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wirtschaft + weiterbildung
06_2016
Die Digitalisierung bringt für Sie keine
disruptiven Veränderungen, eher
evolutionäre.
Porth:
Ja, so schätze ich das für die meis-
ten Felder ein. Wir sehen das bei der
Elektromobilität und dem autonomen
Fahren. Beides kommt voran, aber wir
werden noch viele Jahre mit ganz kon-
ventionellen Technologien zu tun haben,
und damit neben vielem Neuen auch mit
konventionellen Produktions- und Ent-
wicklungsprozessen.
Mit der Digitalisierung wird auch über
neue Führungsmodelle diskutiert.
Die Führung bei Daimler ist geprägt von
Männern, die klassische Rollen-
vorstellungen haben und stolz sind, bei
Daimler zu „schaffen“. Befürchten Ihre
Führungskräfte einen Statusverlust,
wenn jetzt über Selbstorganisation und
Agilität diskutiert wird?
Porth:
Ich weiß nicht, wo Sie dieses Bild
von Daimler herhaben, aber es ist aus
meiner Sicht komplett falsch. Wir sind
ein vielfältiger, dynamischer, moder-
ner und internationaler Konzern. Sonst
könnten wir gar nicht weltweit erfolg-
reich sein. Wir haben mit einem Anteil
von aktuell über 15 Prozent mehr Frauen
in Führungspositionen als die allermeis-
ten Industrie- oder Technikunterneh-
men. Unser selbstgestecktes Ziel ist es,
bis 2020 bei 20 Prozent Frauenanteil in
Führungspositionen zu sein. Zusätzlich
sind viele unserer Managementpositio-
nen international besetzt. Und auch beim
Thema „moderne Führungskultur“ kann
ich Ihre Frage nicht nachvollziehen. Wir
haben sehr viel positive Energie im gan-
zen Unternehmen. Bei „Leadership 2020“
arbeiten Kolleginnen und Kollegen aus
allen Hierarchieebenen, unterschiedli-
chen Altersgruppen, Nationalitäten und
Kulturen an einem neuen Führungsleit-
bild zusammen. Wir hatten unglaublich
viele interne Bewerbungen von Kollegen,
die sich daran beteiligen wollen. Die Mit-
arbeiter und Führungskräfte wollen an-
packen, etwas bewegen und verändern.
Auch der Betriebsrat ist dabei und bringt
tolle Ideen ein.
Welche Ideen aus der Debatte über New
Work sind für Sie vorstellbar? Könnten
Sie sich beispielsweise vorstellen,
Führungskräfte auf Zeit zu berufen?
Porth:
Das ist etwas, was wir schon viele
Jahre praktizieren. Wir ernennen Füh-
rungskräfte auf eine Position für bis zu
fünf Jahre. Im Ausland wird das sehr
konsequent gemacht, weil wir dann ganz
bewusst eine Veränderung haben wollen.
Das ist für mich etwas, was man sicher
noch weiterentwickeln kann, bei uns aber
nichts komplett Neues ist.
Was halten Sie von der Wahl von
Führungskräften durch die Mitarbeiter?
Porth:
Was ich mir gut vorstellen kann,
ist ein System nach dem Muster des
360-Grad-Feedbacks. Die Personalent-
wicklung einer Führungskraft wird dabei
an die Rückmeldung von unterschied-
lichen Seiten gekoppelt, auch die der
unterstellten Mitarbeiter. Eine Wahl von
Führungskräften wird bei einigen kleine-
ren Unternehmen praktiziert, das ist mir
bekannt, aber für einen Großbetrieb wie
Daimler halte ich das für schwer umsetz-
bar.
... und der Abschaffung von Top-down-
Beurteilungen?
Porth:
Ich würde nicht von Abschaffung
von Top-down-Beurteilungen reden, son-
dern tatsächlich von einem 360-Grad-As-
sessment, sodass in die Beurteilung alle
Blickwinkel gleichermaßen einfließen.
In Ansätzen praktizieren wir das schon
heute.
... und der Verteilung des Bonus nach
dem Urteil der Mitarbeiter?
Porth:
Das hängt sehr stark davon ab, wie
das ausgestaltet wird. Ich bin gespannt,
welche Vorschläge hier eventuell aus un-
serem Projekt Leadership 2020 kommen
Danke für Ihre Einschätzungen. Erfordert
die Digitalisierung einen neuen Typ
Führungskraft? Wie muss das neue
Leadership-Modell aussehen?
Porth:
Da gibt es keine allgemeingültige
Antwort. Je nach Geschäftsfeld wird das
ganz unterschiedlich sein. Bei Moovel,
My Taxi oder Car 2 Go haben wir in un-
serem Konzern Bereiche mit hohen Inno-
vationsgeschwindigkeiten. Wir brauchen
hier Führungskräfte, die Innovationen
fördern und ihren Teams große Freiräume
ermöglichen. Wenn wir aber die nächste
Mercedes-Benz-S-Klasse entwickeln, kön-
nen wir das natürlich nicht in Trial-and-
Error-Verfahren machen, sondern über
sehr solide Prozesse. Die Führungskräfte
müssen das dann eher im klassischen
Sinne steuern.
Funktioniert das, dass ein Konzern ganz
unterschiedliche Führungskulturen unter
einem Dach pflegt?
Porth:
Ja. Unser Leitbild wird sich dahin
entwickeln, dass sich Diversität auch in
den Führungskulturen widerspiegelt.
Wenn wir ehrlich sind, haben wir das
schon heute: Im Vertrieb finden Sie eine
andere Kultur als in der Produktion oder
in der Entwicklung. Das hat erst einmal
mit der Funktion zu tun und mit den Men-
schen, die sich diesen Funktionen näher
fühlen und für diese qualifiziert sind.
R
Internationalisierung.
Mitarbeiter von Daimler Greater China entwickeln auf
einem Workshop 2015 in Peking Ideen zur Zukunft digitaler Technologien.
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