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02/18 personalmagazin
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S
cheinselbstständigkeit bezeich-
net keine besondere Form der
Selbstständigkeit. Vielmehr
steht der Begriff für ein Rechts-
verhältnis einer abhängig beschäftigten
Person, die Weisungen unterliegt und
in die Arbeitsorganisation eingegliedert
ist (§ 7 Abs. 1 SGB IV). Sie gibt quasi
nur zum Schein eine Selbstständigkeit
vor, um in den „Genuss“ der sich hieraus
ergebenden Vorteile zu gelangen. Schein-
selbstständige sind dabei in den aller-
meisten Fällen zugleich Arbeitnehmer.
So einfach sich die Unterscheidung
anhören mag: Die Abgrenzung ist in der
Praxis doch mit Problemen verbunden,
die auch durch die Rechtsprechung bis-
lang nicht zufriedenstellend gelöst wer-
den konnten. Dies ist besondersmisslich,
da eine fehlerhafte Einordnung zu er-
heblichen rechtlichen und finanziellen
Belastungen führen kann. Zu nennen
Von
Ashkan Saljoughi
Vom Anhäufen und Abgelten
URTEIL.
Zuletzt hat der EuGH über die Ansammlung von Urlaubsansprüchen bei
Scheinselbstständigen entschieden – ohne jedoch eine zeitliche Grenze zu setzen.
ist etwa die nachträgliche Feststellung
einer abhängigen Beschäftigung im Zu-
sammenhang mit einer Betriebsprüfung.
In diesen Fällen müssen Unternehmen
den Gesamtsozialversicherungsbeitrag
(also den Arbeitnehmer- und Arbeitge-
beranteil zur Sozialversicherung) für
einen Zeitraum bis zu (faktisch) fünf
Jahren nachentrichten. Auch das Risiko
einer strafrechtlichen Haftung wegen
des Vorenthaltens von Sozialversiche-
rungsbeiträgen (§ 266 a StGB) besteht.
EuGH stärkt Scheinselbstständige
Nach dem Urteil des EuGH in der
Rechtssache „King“ (siehe Kasten
„Sachverhalt“) drohen nun mit Blick
auf den Urlaub weitere Risiken bei der
nachträglichen Feststellung der Arbeit-
nehmereigenschaft von Scheinselbst-
ständigen. Die Richter entschieden,
dass ein Scheinselbstständiger seinen
Jahresurlaub zeitlich unbegrenzt an-
sammeln kann. Der Entscheidung sind
folgende Kernaussagen zu entnehmen:
• Nimmt ein Arbeitnehmer den ihm tat-
sächlich zustehenden Jahresurlaub nicht,
weil der Arbeitgeber die Vergütung für
genommene Urlaubszeiten verweigert
hätte, verfällt der Urlaubsanspruch nicht
und kann zeitlich unbegrenzt angesam-
melt und übertragen werden.
• Liegen Arbeitgeber und Arbeitnehmer
im Streit über das Bestehen eines An-
spruchs auf bezahlten Jahresurlaub, so
besteht keine Pflicht des Arbeitnehmers,
vor Beendigung des Arbeitsverhältnisses
unbezahlten Urlaub zu nehmen.
Das Urteil fügt sich ein in eine Reihe
von Entscheidungen, in denen der EuGH
Bemerkenswert ist, dass
für den EuGH der Arbeit-
geber beim Einsatz von
Scheinselbstständigen
weniger schutzbedürftig
ist als in den Fällen er-
krankter Arbeitnehmer.
den Urlaub als einen „besonders bedeut-
samen Grundsatz des Sozialrechts der
Union“ einstuft und unter besonderen
Schutz stellt. Bemerkenswert ist, dass
der EuGH den Arbeitgeber beim Einsatz
von Scheinselbstständigen für weniger
schutzbedürftig erachtet als in den Fäl-
len, in denen Arbeitnehmer krankheits-
bedingt ihren Urlaubsanspruch über
eine längere Zeit nicht in Anspruch neh-
men können.
Bei einer Krankheit hatte der EuGH
in der Sache „KHS/Schulte“ (Urteil vom
22.11.2011, Az. C-214/10) nämlich ange-
nommen: Der Urlaubsanspruch könne
nach einem Übertragungszeitraum von
15 Monaten nach dem Ende des Kalen-
derjahrs verfallen, in dem der Urlaub
entstanden ist. Zum Beispiel kann also
Urlaub aus dem Jahr 2016 bei durchge-
hender Krankheit zum 31. März 2018 ver-
fallen. Die geringere Schutzbedürftigkeit
beim Einsatz von Scheinselbstständigen
begründet der EuGH mit der Gegenleis
tung, die dem Arbeitgeber zugutekommt.
Urlaub bleibt unbegrenzt erhalten
Nach der neuen EuGH-Rechtsprechung
verfallen Urlaubsansprüche also nicht,
soweit der Urlaub nicht genommen wur-
de, weil der Arbeitgeber diese Zeiten
ohnehin nicht vergütet hätte. Das ist
jedoch beim Einsatz von Scheinselbst-
ständigen geradezu typisch. Der EuGH
stellt fest, dass selbst wenn Arbeitgeber
irrtümlicherweise von einer tatsächli-
chen Selbstständigkeit ausgehen, dies
unerheblich sei. Es obliege den Arbeit-
gebern, sich umfassend über ihre Ver-
pflichtungen zu informieren. Ein Verfall
RECHT
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